Krass: Ganz Bremen voller Grass

Bremen taz ■ Heute müsste eigentlich Kaiserwetter sein. Denn: Günter Grass ist in der Stadt, der Kunstheros, der erste und einzige bundesrepublikanische Literaturnobelpreisträger seit Heinrich Böll selig, gleichzeitig Zeichner, Bildhauer und Maler, ganz zu schweigen von seiner Funktion als seit Jahrzehnten bewährtes moralisch-sozialdemokratisches Gewissen des Landes. Kein Wunder, dass er seit seiner Nobelisierung vor fünf Jahren langsam, aber sicher als Bremer Stadtpatron aufgebaut wird – mit eigener Stiftung und dem Eifer, jedwede akustisch oder optisch aufgezeichnete Lebensregung des Titanen zu erhaschen und zu archivieren.

Heute aber, wie gesagt, ist der Gewaltige sogar leibhaftig zu er erleben. Er diskutiert mit SchülerInnen (13 Uhr, Stadtwaage), eröffnet eine Ausstellung seiner Lithografien (16 Uhr, Sparkasse am Brill) und liest im Rathaus (18 Uhr). Begegnungen sind also kaum zu vermeiden: Nachfolgend stellt die taz drei Modelle vor, sich dem Halbgott zu nähern.

Der Devote:

Angenommen, Sie sind ein Grass-Verehrer der ersten Stunde, dem bis heute als peinsames Mal in der Seele brennt, dass der Bremer Senat den damals 32-jährigen Grass für unwürdig befand, den ihm bereits zuerkannten Bremer Literaturpreis auch tatsächlich entgegenzunehmen. Stecken Sie also unbedingt ein Mikro und Ihre alte Super 8-Kamera ein, um den Kollegen von Radio Bremen bei Ihrer umfangreichen Grass-Dokumentier-Arbeit zu helfen. Seien Sie dabei nicht scheu: „Verehrter Herr Nobelpreisträger, bitte stören Sie sich nicht an meinem Mikrofon, das ich gerade in Ihre Hose klemme – Sie müssen wissen, mit Verlaub, jeder Furz hat großen Wert!“

Der Titan wird verstehen und nachsichtig lächeln, selbst wenn Sie sein Schneuzen in Nahaufnahme filmen – dieser Schnauzer adelt jeden noch so profanen Luftzug. Frohlocken Sie: Schon heute beherbergt Bremen das weltweit größte audiovisuelle Grassarchiv aller Zeiten, und mit Ihrer heutigen Hilfe werden die Datenbänke weiter wachsen. Mille Grazie, Herr Grass!

Der Sozi

Mensch Günter! Erinnerst du dich noch? Mitte der Sechziger habe ich dich zum ersten Mal erlebt, irgendwo in der konservativen Provinz. Damals hast du gerade angefangen, Wahlkampf für die SPD machen. „Loblied auf Willy“ hieß deine Rede, wie einen Vater hast du ihn verehrt, den Brandt. Sogar Eintritt musste man damals zahlen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich habe noch studiert, hatte also wenig Geld, aber ich wollte dich unbedingt reden hören. Genützt hat dein Engagement ja noch nichts, an den deutschen Unis war auch noch alles ruhig. Aber du hast kein Blatt vor den Mund genommen. Das hat mir imponiert. Ich bin dann selbst in die SPD eingetreten, auch wegen dir. Später haben wir uns noch einmal getroffen, am Rande eines Parteitages. Als ich im Hotel ankam, saßt du da, in der Halle, an einem Tisch. Ich bin dann zu dir gegangen und hab dir erzählt, wie ich zur SPD kam.

Vielleicht sind Sie aber auch ein Pöbler – schließlich lesen Sie ja „taz“. Dann sollten Sie heute die Mitschrift der letzten Bürgerschaftsdebatte über illegale Zuwendungen an die Grass-Stiftung einstecken. Und wenn Ihnen der alte Oberschriftsteller dann heute über den Weg läuft, ziehen Sie so richtig vom Leder.

Zum Beispiel so: „Sie kommen mir gerade richtig, Sie alter Schlingel! Einfach beim Bürgermeister auf den Tisch hauen, und der muss dann ’ne halbe Mio organisieren, damit Ihre olle Stiftung mal was gewuppt kriegt?! Also, mein Lieber, wenn das jeder hier so machen würde, dann wären wir schon längst Niedersachsen. Was heißt hier „hä?“, Sie Neunmalkluger?! Ich sag doch: Unsere Eon-Millionen können wir ganz gut selber ausgeben. Sie haben doch schon Ihre 1,8 aus Oslo!“ Kontinuierlich schimpfend laufen Sie weiter und lassen Herrn Grass ratlos zurück. Nach ein paar Schritten drehen Sie sich um, wedeln wütend mit den Bürgerschaftsprotokollen und rufen: „Und übrigens: Unsere schöne Stadtstaatdemokratie bringen Sie auch in Gefahr!“ nmz/hb