Junge oder Mädchen oder etwas dazwischen

Eltern von intersexuellen Kindern sind auf diese Situation kaum vorbereitet. Der Psychotherapeut Knut Werner-Rosen ist einer von nur zwei Spezialisten, die Hilfe bieten. Er fordert ein Versorgungssystem und wünscht Paten für Betroffene

Kommt ein Kind mit nicht eindeutigen äußeren Geschlechtsmerkmalen zur Welt, ist es intersexuell. Die Eltern werden meist dazu aufgefordert, sich bald nach der Geburt zu entscheiden, ob ihr Kind als Junge oder Mädchen aufwachsen soll. Viele von ihnen wünschen sich das auch und es wird operativ umgesetzt. Danach erfolgt die amtliche Registrierung des Kindes unter einem Geschlecht.

„Gesellschaftlich ist es ein Tabu, dass es solche Menschen zwischen den Geschlechtern gibt. Eltern und ihre Umgebung sind deshalb gar nicht darauf vorbereitet“, sagt Psychotherapeut Knut Werner-Rosen. In seiner Praxis in Neukölln betreut er seit etwa zehn Jahren intersexuelle Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Deutschlandweit gibt es nur einen weiteren Therapeuten, der sich intensiv in das Thema Intersexualität bei Heranwachsenden eingearbeitet hat. „In vielen Krankenhäusern lässt der Arzt die Eltern mit dieser Problematik allein“, so Werner-Rosen. „Doch damit werden sie nicht allein fertig. Sie sind mit der schwerwiegenden Entscheidung, welches Geschlecht ihr Kind haben soll, zunächst einmal völlig überfordert.“

Überfordert seien jedoch auch die Ärzte. Seit ein paar Jahren betreut Werner-Rosen deshalb am Rudolf-Virchow-Krankenhaus Eltern intersexueller Kinder. Das so genannte Berliner Modell ist einzigartig im deutschen Raum: Kommt hier ein solches Kind zur Welt, sind die Ärzte für die medizinische Versorgung zuständig, „maßen sich aber keine psychologische Kompetenz mehr an“, so Knut Werner-Rosen. Er geht in diesen Fällen auf die Eltern zu, bietet seine Hilfe an und ermöglicht ihnen, ihre Ängste und die seelische Erschütterung zu überwinden. Viele Eltern wollten aber, dass der vermeintliche „Defekt“ ihrer Kinder „schnellstmöglich wegoperiert“ wird, weil sie selbst nicht wissen, wie sie mit der Intersexualität leben könnten.

„Intersexualität ist zwar krankheitsbedingt“, sagt Werner-Rosen, „Krankheit und Kranksein sind aber zwei verschiedene Dinge. Meine Frage in den Gesprächen mit Eltern und Familien ist, was diese Kinder gesund hält.“ Dazu gehöre Selbstbewusstsein und psychische Stärke, die sie den Kindern vermitteln, aber auch selbst erst einmal bekommen müssten. Intersexualität sei ein Sammelbegriff für viele verschiedene Ausprägungen der Geschlechter. „Die Kinder sind nicht krank, sie fühlen sich auch nicht krank“, so der Therapeut. „Es geht aber mit großen psychologischen Belastungen einher und ist für die Kinder schwer, eine Geschlechtsidentität zu finden, wo sie biologisch nicht eindeutig definiert ist.“

In seiner Praxis betreut er viele Patienten über Jahre hinweg. Auch wenn es in Berlin mit zahlreichen Selbsthilfegruppen, Kliniken, die Anlaufstelle für Betroffene aus ganz Deutschland sind, und einer relativ offenen, toleranten Stimmung viel Raum für Trans- und Intersexuelle gebe, sieht er noch Schwachstellen im gesellschaftlichen Umgang mit ihnen. „Viele sind sehr intolerant, die Menschen wollen die Betroffenen auf ein Geschlecht festlegen, damit es da nichts Unklares gibt“, meint Werner-Rosen. Das Thema solle in den Schulen im Sexualkundeunterricht aufgegriffen werden und es brauche ein geregeltes Versorgungssystem. Als Unterstützung für intersexuelle Kinder will er ein Patennetz aufbauen. „Nach christlichem Vorbild soll jeder Betroffene eine Person an die Seite bekommen, die sie auf ihrem Weg begleitet“, sagt der Psychotherapeut. Juliane Gringer