piwik no script img

Archiv-Artikel

„Wir haben alles getan, damit es nichtzum Eklat kommt“, sagt Frau Winkler

Die EU-Studie zum Antisemitismus wird nun veröffentlicht, obwohl die Herausgeber an ihrer Qualität zweifeln

taz: Frau Winkler, jetzt stehen Sie ganz schön dumm da: Die Studie, die Sie nicht veröffentlichen wollten, ist nun öffentlich. Sie hat durch das Gezerre um die Veröffentlichung noch mehr Aufmerksamkeit bekommen, als ihr vielleicht gut tut – und Ihre Institution hat auch noch einen Image-Schaden davongetragen. Was machen Sie jetzt?

Beate Winkler: Wir werden den Berichtsentwurf in den nächsten 24 Stunden auf unserer Webseite veröffentlichen – mit einer klaren Begründung und Stellungnahme, warum wir sie bisher nicht veröffentlichten. Dazu kommt eine Übersicht über unsere Aktivitäten zum Thema Antisemitismus.

Aber warum veröffentlichen Sie den Bericht erst jetzt?

Es war unsere Initiative, dass direkt nach dem Höhepunkt der „zweiten Intifada“ im Frühjahr vergangenen Jahres Daten zu dieser Studie gesammelt wurden, da wir so beunruhigt waren über ein Ansteigen des Antisemitismus in Europa. Wir fanden aber die Daten, die in relativ kurzer Zeit gesammelt wurden, nicht ausreichend. Deshalb werden wir im Frühjahr kommenden Jahres einen Bericht veröffentlichen, der tiefer geht, auch mit Interviews mit Vertretern jüdischer Gemeinden. Diesen Bericht stellen wir dann im EU-Parlament vor. Die anderen Daten, die nicht im Papierkorb landen sollten, hat das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin in unserem Auftrag bearbeitet. Damit wollten wir schneller politisch reagieren können.

Warum haben Sie diesen Bericht dann fast ein Jahr eingeschlossen?

Wir wollten eben nur politisch reagieren mit Daten, die uns zuverlässig erschienen, denn darauf beruht unsere Arbeit. Wir sind die unabhängigste Institution der EU – gerade um uns vor politischer Einflussnahme zu schützen.

Sie haben die Rechte an der Studie. Werden Sie juristisch gegen den Europäischen Jüdischen Kongress vorgehen, der sie veröffentlichte?

Wir haben alles dazu getan, damit es nicht zum Eklat kommt. Jetzt müssen alle Beteiligten schauen, wie sie die Situation entschärfen. Wir sollten uns nicht gegenseitig befehden, denn wir alle haben den Auftrag, gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus vorzugehen. Wir sollten die Situation auch nutzen und einen breiten gesellschaftlich-politischen Diskurs zum Thema Antisemitismus führen.

Beim Zentrum für Antisemitismusforschung gibt es den Vorwurf, Ihre Institution habe schon beim Verfassen der Studie massiv auf den Inhalt eingewirkt. War das so?

Die Forscher mussten alles belegen können. Ist etwas von Daten nicht gedeckt, leidet die Glaubwürdigkeit.

Also wurde auf die Forscher in Berlin eingewirkt?

Es ist ganz normal, dass es einen ersten, zweiten, dritten Entwurf einer Studie gibt.

Gab es auch Versuche der Einflussnahme auf Ihre Institution seitens der Politik?

Nein, ich habe persönlich keinerlei Einflussnahme erlebt.

Haben Mitgliedsstaaten der EU darauf gedrungen, dass bestimmte Ergebnisse in der Studie nicht stehen durften – etwa, dass muslimische Zuwanderer in Frankreich für Gewalttaten gegen Juden verantwortlich sind?

Nein, das ist absurd, solche Einwirkungsversuche gab es nicht. Das ist eine bewusste Diskreditierung unserer Arbeit.

Hatten man von Ihrer Seite aus falscher Political Correctness heraus Angst, muslimische Täter zu benennen, weil die selbst meist Opfer sind?

Ich habe schon bei einem Vortrag im Mai 2003 auf diese Problematik der muslimischen Täter hingewiesen. Der EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit von den Bündnisgrünen hat mir am Dienstag im EU-Parlament gesagt, dass meine persönliche Reputation außer Frage stehe. Dies wurde von anderen Abgeordneten bestätigt.

Beim Lesen der Studie hat man den Eindruck, als würde versucht, allen Staaten gleich viel antisemitische Vorfälle zuzuschreiben, damit niemand schlechter wegkommt.

Nein, Aufgabe unserer Stelle ist es, die Situation zu schildern. Es gibt keine Hitliste der Staaten. Das Problem Antisemitismus haben alle.

Der Beobachtungszeitraum war das erste Halbjahr 2002, als die „zweite Intifada“ einen Höhepunkt erreichte. Hat sich die Lage seitdem beruhigt?

Es ist noch besorgniserregend. Wie müssen sich jetzt Teile der jüdischen Bevölkerungen fühlen? Sie werden sich fragen, ob es die richtige Entscheidung war, die Koffer auszupacken.

Was ist das Wichtigste, das die Regierungen der EU nun gegen diesen Zuwachs an Antisemitismus tun sollten?

Das Wichtigste ist erst einmal, Daten zu sammeln, damit wir ein klares Bild haben. Es geht vor allem auch um die politische Orientierung, dass wir Antisemitismus, Rassismus und Islamfeindlichkeit nicht akzeptieren. Muslime sind auch betroffen. Wir dürfen die Gruppen nicht gegeneinander ausspielen.

Wäre es nicht an der Zeit, einen Blumenstrauß an das Zentrum für Antisemitismusforschung zu schicken – als Entschuldigung?

Wir haben uns gegenseitig wehgetan, also vielleicht bräuchten wir auch einen Blumenstrauß. Dabei arbeiten wir doch alle für das gleiche Ziel. Wir sollten jetzt alles tun, um Brücken zu bauen. Ich jedenfalls tue es.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER