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Archiv-Artikel

Eskalation in der Elfenbeinküste

In Abidjan wächst die Revolte radikaler Milizen gegen Frankreichs Eingreiftruppe.Aus lokalem Streit mit Migranten wurde eine Mobilmachung der Friedensgegner

BERLIN taz ■ Es begann mit einem Streit um Sand. In der Kleinstadt Brodoumé in der Heimatregion des ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo, wo neben Gbagbos Bété-Volk zahlreiche Einwanderer aus Burkina Faso leben, wurde eine burkinische Familie beschuldigt, Erde aus einem „heiligen Wald“ gestohlen zu haben. Weil sie die festgesetzte Geldstrafe nicht zahlen konnte, ging ihr Haus zusammen mit dem anderer Burkiner in Flammen auf, angezündet von jungen „Einheimischen“. Die „Fremden“ flohen.

Als dann ein Gendarm tot aufgefunden wurden, machte die Stadt sofort die Burkiner verantwortlich, die zu den Rebellen im Norden des Landes gegangen seien und nun angriffen. Die Jugendlichen, organisiert in einer der „patriotischen“ Milizen der Elfenbeinküste, bliesen zum Krieg und machten sich auf den Weg an die nahe Waffenstillstandslinie, wo Soldaten aus Frankreich Regierungs- und Rebelleneinheiten auseinanderhalten. Als sie versuchten, an die Front zu gelangen, eröffneten die Franzosen auf die „Patrioten“ das Feuer. Das war am vergangenen Samstag. Inzwischen rufen die „Patrioten“, die den Friedensprozess und die Anwesenheit von Ausländern in der Elfenbeinküste ablehnen, zum „Befreiungskrieg“. Die 3.800 französischen Soldaten im Land sollen abziehen, damit die Armee in das Rebellengebiet einmarschieren kann. Am Sonntag besetzten Soldaten und Gendarmen in der Hauptstadt Abidjan Radio und Fernsehen und machten diese Forderungen öffentlich. Am Montag zogen die „Patrioten“ vor das Hauptquartier der Franzosen nahe dem Flughafen von Abidjan. Nach zweitägigen gewaltsamen Auseinandersetzungen vor den Toren der Militärbasis rief der Chef der „Patrioten“, Charles Blé Goudé, für gestern und heute zum Sitzstreik auf.

Die Spannung eskaliert jeden Tag. Staatschef Gbagbo, der den im Januar in Frankreich ausgehandelten Friedensprozess nur widerwillig umsetzt, unterstützt die Patrioten. In Zusammenhang mit den Milizen, die zahlreiche rassistische Übergriffe gegen Migranten und Angehörige nordivorischer Ethnien begangen haben, spricht er lobend von einem „neuen Nationalbewusstsein“.

Frankreich, das in der Elfenbeinküste seine größte ausländische Militärintervention führt und sein diplomatisches Prestige in eine friedliche Lösung des ivorischen Konflikts gesteckt hat, ist ratlos. Seit gestern sind die französischen Schulen in Abidjan geschlossen, Kinder werden ausgeflogen. Doch einen Abzug oder eine Verstärkung der Eingreiftruppe schließt die Regierung in Paris vorerst aus. Sie hofft auf Fortschritte bei Gbagbos geplantem Frankreichbesuch in zwei Wochen.

Aber eventuell ist das zu spät. „Ab Donnerstag gehen wir neue Wege“, rief Milizenchef Blé Goudé am Dienstag seine Anhänger auf, „aber seid diszipliniert und zerstört keine Gebäude.“ Nun rätselt das Land, was er damit meint. DOMINIC JOHNSON