piwik no script img

Archiv-Artikel

Klopfen und schweigen

Die Träume der Hippies, das Schwanken unter Reisigbündeln: Die Filmreihe „Kabul/Teheran 1979 ff“ zeigt europäische Außenansichten sowie jüngere Filme von afghanischen und iranischen Regisseuren

von ANNE KRAUME

Wer oder was die Hippies eigentlich waren, das hat der junge Afghane, der danach gefragt wird, noch nicht so richtig begriffen: Halb schüchtern, halb scherzend sagt er, er habe zu Anfang geglaubt, „Hippie“ sei das deutsche Wort für Mudschaheddin, aber das habe ja irgendwie auch nicht zu dem gepasst, was von diesen Leuten erzählt wurde.

In den Siebzigerjahren, vor der Besetzung durch die Sowjetunion, war Kabul eine Art Mekka der Hippiebewegung. Aus ganz Europa reiste man im VW-Bus an und fand seine Träume vom Paradies auf Erden schon an der Grenze bestätigt, wo die Zollbeamten die mühsam erkämpften Visa gar nicht beachteten und wo es vor den Augen der Beamten kiloweise Haschisch direkt vom Produzenten zu kaufen gab. Die Aussteiger von damals erinnern sich in dem deutschen Dokumentarfilm „Ein Traum von Kabul“ von Dieter Matzka und Wilma Kiener, der 1989 entstanden ist und der jetzt im Rahmen der Filmreihe „Kabul/Teheran 1979 ff“ gezeigt wird.

Man wollte „irgendwie nonkonformistisch leben“, sagt einer; man wollte sich absetzen von den Eltern, meint eine andere. Man wollte ganz ausdrücklich nicht arbeiten, man scherte sich nicht um den Wohlstand, der in der Bundesrepublik so wichtig geworden war, und man war „auf der Suche nach irgendwas“. Kabul schien der ideale Ort, um alle diese Sehnsüchte zu befriedigen. Der Film stellt nun den Träumen und Erinnerungen der ehemaligen oder alt gewordenen Hippies die Realität der Stadt gegenüber, wie sie sich Ende der Achtzigerjahre nach einer langen Zeit des Bürgerkriegs präsentiert.

Ein kleines Mädchen schaut aus dem Fenster, und um das Fenster herum ist die Fassade des Hauses zerbeult von Einschusslöchern. Der einzige Löwe im Kabuler Zoo ist taub, halb blind und hat eine schiefe Schnauze, die von Granatsplittern durchlöchert wurde. Die Stadt ist gezeichnet vom Krieg, und erst allmählich, im Laufe des Films, bekommt auch das Bild von der schönen, heilen Hippiewelt einen Sprung: Für gar nicht wenige europäische Aussteiger hat sich die Stadt während ihres Aufenthalts durch exzessiven Drogenkonsum und Prostitution in eine Hölle verwandelt, der man nur durch die Rückkehr in die Heimat entkommen konnte.

Der Dokumentarfilm der deutschen Filmemacher ist eine Außenansicht von Kabul. Man bereist eine fremde Stadt, zeichnet Episoden aus ihrer jüngeren Geschichte nach und skizziert so ein Porträt. Das Filmfestival im Filmkunsthaus Babylon und in der Volksbühne setzt solchen Außenansichten nun ganz bewusst auch die andere Perspektive entgegen und zeigt daneben jüngere Filme, die in Afghanistan und im Iran von afghanischen und iranischen Regisseuren gemacht wurden. Der Kurzfilm „Be quiet children“ von Abdolrahman Alami ist ein Beispiel dafür, wie sich solche Regisseure mit den neueren Entwicklungen in ihrer Heimat auseinander setzen.

Der Film ist eine Mischung aus Dokumentation und re-inszeniertem Spielfilm: Während des Talibanregimes werden Kellerräume provisorisch zu illegalen Schulen umfunktioniert, in denen Lehrerinnen, obwohl sie als Frauen gar nicht außerhalb des Hauses arbeiten dürfen, Kindern Lesen und Schreiben beibringen. Bücher und Hefte gibt es nicht, weil es zu gefährlich wäre, damit auf der Straße erwischt zu werden. Die Kinder schreiben ihre Aufgaben deshalb auf Papierfetzen, die sie unterwegs in ihren Schuhen verstecken. Immer wieder ertönt in dem Film leitmotivisch ein dumpfes Klopfen an das rostige Eisentor, das das Haus mit dem Kellerzimmer von der Straße abschirmt. Einmal ist es nur eine zu spät kommende Schülerin, einmal jemand, der die Lehrerin und ihre Schüler warnten möchte, einmal schließlich kommt tatsächlich einer der Taliban, vor denen man sich in diesen Kellerraum geflüchtet hatte. Jedes Mal hallt das Klopfen durch den leeren Hof, jedes Mal zucken die Lehrerinnen zusammen: „Be quiet children!“

Etwas näher schon an der Grenze zum Iran hin ist mit „Joy of Fire“ ein weiterer Kurzfilm angesiedelt. Afghanistan ist das Land mit der höchsten Zahl von Vertriebenen. Deren Leben reflektiert der iranische Filmemacher Ali Mohammed Ghasemi in einem Film, der mit wenig Farbe auskommt. Auf der Tonspur läuft beständig das Pfeifen des Windes, und eine Hand voll Jugendlicher macht sich auf, Holz für ein Feuer zu sammeln. Das Knacken der morschen Äste mischt sich in das Heulen des Windes, und die Figuren schwanken unter den Reisigbündeln, die oft größer sind als sie selbst. Am Schluss sieht man nicht das Feuer, sondern nur seinen Widerschein auf den Gesichtern, die so zu leuchten scheinen.

Der Dokumentarfilm „Tehran 1380“ von Solmaz Shahbazi und Tirdad Zolghadr beschäftigt sich schließlich mit Teheran, einer Stadt, deren Einwohnerzahl sich seit der islamischen Revolution von 1979 vervierfacht hat. Die Architektin Shahbazi und ihr Autor Zolghadr tasten sich entlang der urbanen architektonischen Strukturen dieser Stadt hinein ins Innere der iranischen Gesellschaft und fördern dabei mitunter Kurioses zutage. Der früher betriebenen Europäisierung der Metropole wird heute eine iranische Version der Postmoderne entgegengestellt, was nicht selten zu Problemen führt – früher wurde beispielsweise so gebaut, dass man wie in Europa aus dem Fenster blicken konnte, wenn man auf Stühlen um einen Tisch saß. Jetzt möchte man wieder nach iranischer Sitte auf dem Boden sitzen und stellt fest, dass die Fenster zu hoch liegen.

„Kabul/Teheran 1979 ff“, von heute bis zum 19. 12., Filmkunsthaus Babylon (Rosa-Luxemburg-Str. 30) und ErsatzSalon der Volksbühne (Rosa-Luxemburg-Platz 2), Termine s. Programm