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Archiv-Artikel

„So etwas gibt es in Hamburg nicht“

KUNSTFRÜHLING Der Ort ist vor allen Dingen eines: gewaltig. Die alte Gleishalle des Güterbahnhofs in Bremen besticht in erster Linie durch ihre überwältigende, gar nicht auf den ersten Blick zu erfassende Größe. Dementsprechend ist der dort statt findende sechste „Kunstfrühling“ vom 7. bis 17. Mai auch nicht einfach nur eine lokale Werkschau der hiesigen Szene. Geplant wurde im einem Umfang, der schon an die großen Kunstschauen des vergangenen Jahrhunderts erinnert. Zehn Tage lang sollen Institutionen, namhafte Museen und Galerien sowie gut 150 KünstlerInnen die gesamte Bandbreite der Gegenwartskunst im Nordwesten präsentieren. Ein Gespräch mit dem Hamburger Kurator Dirck Möllmann über räumliches Denken, die Kunstszene jenseits bremischer Stadtgrenzen, die Zukunft einer maroden Industrieruine und die Frage, ob der Kunstfrühling eigentlich eine Messe ist.

Dirck Möllmann

■ Der Werdegang: Dirck Möllmann, geboren 1963 in Wetzlar, lebt derzeit in Hamburg. Dort hat er bis 1996 an der Universität Kunstgeschichte, Philosophie und Literaturwissenschaften studiert. Er ist heute als Kunsthistoriker und freier Kurator vor allem als freier Mitarbeiter der Kunsthalle Hamburg engagiert.

■ Die Ausstellungen: Möllmann ist Mitbegründer des Video Club 99, einer Plattform für Medienkunst in der Hamburger Kunsthalle sowie Mitbegründer von „Stile der Stadt“, einem Label für Ausstellungen mit raumbezogener Kunst an ungewöhnlichen Orten. Zuletzt machte er als Kurator der Ausstellung „Man Son 1969“ in der Hamburger Kunsthalle von sich reden. Er arbeitete ferner für die Hamburger „Galerie für Landschaftskunst“ und das Altonaer Museum, wo er 2006 eine Ausstellung zu Joseph Beuys kuratierte. mnz

Foto: Kunstfrühling

INTERVIEW JAN ZIER

taz: Kennen Sie den Kunstfrühling auch aus eigener Anschauung, Herr Möllmann?

Dirck Möllmann: Leider nicht. Ich komme zwar aus Hamburg und hätte davon hören können, aber trotz der starken regionalen Ausstrahlung habe ich noch keinen Kunstfrühling erlebt.

Was macht den Kunstfrühling aus ihrer Sicht aus?

Die Idee dieses Kunstfrühlings ist die gemeinsame Ausstellung mit bestehenden Institutionen unter einem Dach. Es ist wichtig, dass dabei die ganze regionale Kunstszene mobilisiert wird. Das ist schon sehr bemerkenswert – schließlich ist der Veranstalter ein Berufsverband, also eine Art Lobby. So etwas wie den Kunstfrühling gibt es in Hamburg nicht.

Aber ist das nicht in erster Linie eine Art regionale Leistungsschau, wie man sie sonst beispielsweise von Wirtschaftsmessen kennt?

Ich fürchtete am Anfang, das würde auf eine Messe hinauslaufen – und habe mir Mühe gegeben, dass der Kunstfrühling nicht als Messe inszeniert wird. Es wird eine umfangreiche künstlerische Landschaft abgebildet. Das Wort Leistungsschau hat sofort den Markt im Hintergrund. Das Ziel hier ist aber nicht in erste Linie, dass die Kunst verkauft wird. Es ist eine Synopse dessen, was in der hiesigen Kunstlandschaft gerade passiert. Aber keine Messe.

Sie kuratieren eine Ausstellung im Kunstfrühlings, die Künstlerplattform „Spring!“...

...für die es insgesamt 173 Bewerbungen gab, von denen eine Jury dann 45 ausgewählt hat. Meine Aufgabe war, mit all diesen KünstlerInnen zu sprechen, um dann zu überlegen, welche Arbeiten man auf der neu eingebauten Plattform in der Gleishalle zeigen kann. Als ich das erste Mal diese Räume gesehen habe, war ich sehr beeindruckt von der Rohheit, der Größe, dem Licht. Und so hatte ich die Idee, sehr deutlich auf diesen Ort zu reagieren, also eine räumlich bezogene Ausstellung zu machen. Das ist der andere Teil des Kunstfrühlings nicht. Dort präsentieren Galerien, Museen, Institutionen ihre Künstler und Positionen auf weißen Wänden.

Verfolgen sie dabei eine konkrete These?

Es ist keine Themenausstellung. Man könnte überlegen, ob in so einer Industrieruine die Kunst in Zeiten der Finanzkrise neue Blüten treibt. Aber das ist jetzt schnell ausgedacht. Einzelne Arbeiten versuchen ganz konkret, auf dieses Industrierelikt zu reagieren, seine Geschichte, seine aktuelle Situation. Es geht um räumliches Denken. Aber man kann daraus keine übergreifende These ableiten. Die Ausstellung ist bewusst weit gehalten.

Bei der gerade zu Ende gegangenen, von ihnen co-kuratierten Ausstellung „Man Son 1969. Vom Schrecken der Situation“ in der Hamburger Kunsthalle hat man ihnen genau dieses Prinzip vorgeworfen.

Das ist richtig. Wir haben uns dort bewusst eines rotes Fadens enthalten, deswegen fanden das viele konzeptionslos. Das war es nicht und das ist erst auf den zweiten Blick zu sehen. Der Kunstfrühling will aber gerade den thematischen Überblick anbieten, deswegen ist es sehr schwierig, sich da auf eine These einzulassen. Letztlich taucht sie ein wenig in dem von mir gewählten Titel „Spring!“ auf – in der Doppelbedeutung des Frühlings und der Aufforderung, auch mal ein Risiko einzugehen, etwas zu wagen.

Früher war der Kunstfrühling sehr stark auf Bremen fokussiert, jetzt soll er sich auf die Metropolregion Bremen-Oldenburg beziehen, aber auch noch Cuxhaven, Emden oder Osnabrück mit einbeziehen...

... und es geht runter in den Süden bis nach Bad Bentheim. Das gehört so gerade eben noch zum Einzugsgebiet.

„Ich finde es wichtig, dass in der Kunst auch kritische politische Ansätze zu erkennen sind“

Aber was bedeutet diese regionale Aufweichung für den Kunstfrühling?

Erstmal ein Anwachsen der Möglichkeiten. Letztlich ist es jedoch hauptsächlich Bremer Kunst, die dort gezeigt wird. Gut 80 Prozent dessen, was ich kuratiert habe, kommt von hier. Aber das auch Galerien aus Bremerhaven oder Delmenhorst auf dem Kunstfrühling vertreten sein werden, wäre früher so ohne weiteres nicht möglich gewesen. Das ist nicht zu unterschätzen – und bringt viel stärker das Gewicht der Metropolregion ins Spiel.

Gibt es also jenseits von Bremen zu wenig gute KünstlerInnen im Nordwesten?

Es verdichtet sich natürlich in den Städten. Diese Erfahrung kann man schon machen.

Aber Oldenburg ist doch auch eine Stadt?!

Ja, nur von dort haben sich schon rein quantitativ sehr viel weniger KünsterInnen beworben. Das ist eben so. Es gehört zum Zeichen einer Stadt, dass sie Szenen ausbildet. Das ist ihre Magnetwirkung, die um so größer ausfällt, je größer die Stadt ist. Ich würde aber nicht sagen, dass es in der Metropolregion keine talentierten Künstler gibt.

Wie schätzen sie die Größe der bremischen Kunstszene ein, verglichen mit anderen Städten dieser Größe?

Bremen ist schon besonders. Das liegt daran, dass die Künstler relativ beständig mit der Stadt in Verbindung bleiben. Das hat Vorteile wie Nachteile – für manche wäre es auch mal gut, aus dem gemachten Nest rauszukommen. Andere, wie Jutta Haeckel...

... die in Düsseldorf lebt....

und auch schon länger weg ist aus Bremen, haben aber sehr gute Erinnerungen und sie hat deshalb gerne wieder mit gemacht. In Hamburg beispielsweise blutet die Kunstszene derzeit eher aus und wandert nach Berlin ab, in Bremen ist die Verbindung zur Stadt oft noch stärker. Das liegt an der hohen Lebensqualität, die die Stadt so bietet. In Frage kam jeder Künstler und jede Künstlerin, der eine direkte Verbindung zum Kunstleben in Bremen haben. Margrét Rós Hardadóttir kommt sogar aus Island eingeflogen, übrigens auf eigene Kosten. Überhaupt geht das Engagement der KünstlerInnen hier ausschließlich zu deren finanziellen Lasten. Trotzdem entsteht die Hälfte der Arbeiten neu für diesen Ort.

Einige davon haben einen politischen Ansatz...

Das ist der Kunstfrühling

Der Bremer Kunstfrühling 2009 wird am 7. Mai eröffnet und dauert bis zum 17. Mai. Veranstalter ist der Bremer Verband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK). In seiner sechsten Auflage geht die ursprünglich 1985 initiierte Ausstellung erstmals über Bremen hinaus und präsentiert die Kunstszene der Metropolregion Bremen-Oldenburg. Deren postuliertes Einzugsgebiet reicht dabei von Cuxhaven über Emden bis nach Osnabrück. Gezeigt werden zunächst gut 100 KünstlerInnen, dazu unter dem Titel „Spring!“ auf 2.500 Quadratmetern einer gesondert erbauten Ausstellungsfläche 45 weitere KünstlerInnen. Insgesamt werden dabei 24 Arbeiten neu entstehen oder erstmals gezeigt.

■ Veranstaltungsort ist große Gleishalle des ehemaligen Güterbahnhofs am Bremer Hauptbahnhof. 180 Meter lange Bahnsteige und sechs bis acht Meter hohe Räume sowie eine sich über die gesamte Halle erstreckende lichtdurchlässige Dachkonstruktion kennzeichnen die Architektur des ansonsten meist leerstehenden Ortes.

■ Bei der Gesamtausstellung wird der BBK durch ein Kuratorium beraten, in dem unter anderem das Neue Museums Weserburg, das Edith-Ruß-Haus in Oldenburg, die Kunsthalle Bremen, die Städtische Galerie Buntentor sowie die Gesellschaft für Aktuelle Kunst vertreten sind.

■ Die Ausstellung wird begleitet durch ein Beiprogramm mit allerlei Kurzfilmabenden, Offenen Ateliers sowie Konzerten. Am Ende steht eine Versteigerung von Kunstwerken.

■ Öffnungszeiten: Vom 7. bis 17. Mai jeweils zwischen 11 bis 20 Uhr. Der Eintritt kostet fünf Euro, ermäßigt drei Euro, SchülerInnen kommen umsonst rein. Weitere Informationen finden sich unter www.kunstfruehling.de

...der allein aber auch noch nicht zur Teilnahme qualifiziert. Ich finde es auch nicht interessant, wenn Kunst sich über die politische Aussage sehr schnell instrumentalisieren lässt. Dennoch finde ich es wichtig, dass in der Kunst auch kritische politische Ansätze zu erkennen sind – gerade bei solch großen Veranstaltungen. Reinhold Budde etwa ist es gelungen, über die Ortswahl und seinen Titel auf einen historisch-politischen Zusammenhang hinzuweisen – nämlich die Judendeportation am alten Lloyd-Bahnhof im November 1941. Auch Achim Bitter ist ein sehr politisch denkender Mensch und bezieht sich immer wieder auf die gesellschaftspolitische Zeichen.

Aber warum ist Derk Classen eingeladen, obwohl er „lieber nichts machen will“?

Er legt den Finger in die Wunde. Er macht nicht einfach nur nichts, darum geht es nicht. Er tut dies an einem Ort, wo 150 Künstler eine enorme Aktivität entfalten. Das ist schon eine interessantes Anti-Statement. Und ich halte Derk Claasen für einen sehr guten Künstler, der das reflektiert, was er tut und wie er das Kunstfeld sieht. Wenn mich allerdings jemand auf der Straße mit dieser Idee anspräche, würde er oder sie nicht einfach in einer Ausstellung landen.

Bleiben die für die Gleishalle geschaffenen Werke später an Ort und Stelle?

Ja, sofern es dauerhaft installierte Arbeiten sind. Und was vor allem bleiben wird, ist die Plattform. Die kann weiter benutzt werden. Ich hoffe, daraus entwickelt sich ein gut funktionierende Ausstellungsraum, den die Künstlerinitiative Verein 23 später weiter betreiben kann.