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Archiv-Artikel

Wer fliegen will, braucht Ideen

KUNST Die Ausstellung „Carnival Within“ sucht Verbindungen zwischen Glamour und Gottesfurcht und zeigt, wie der amerikanische Traum selbst Scheiternden Kraft gibt

In schwieriger Lage Humor zu bewahren, ist das Gegenmodell des deutschen Hangs zum Selbstmitleid

VON ULRICH GUTMAIR

Da fiel ein großer Stern vom Himmel; er loderte wie eine Fackel und fiel auf ein Drittel der Flüsse und auf die Quellen. Das Wasser wurde bitter und viele Menschen starben. Der Name des Sterns ist Wermut. So steht es in der Offenbarung des Johannes. Und „Wormwood“ – Wermut, auch als Bitterer Beifuß bekannt – hat Nadine Robinson ihren gleißenden, siebenzackigen Stern genannt, der aus 500 Glühbirnen besteht. Er hängt am Ende des weitläufigen, aber zurückhaltend bestückten Ausstellungsparcours in den Weddinger UferHallen. Die New Yorker Kuratoren Sabine Russ und Gregory Volk mit der Berliner Kunsthistorikerin Uta Grundmann stellen sich „Carnival Within – An Exhibition Made in America“ als Vergnügungspark vor. Wenn mittags der Strom in der Halle angeschaltet wird, akkumulieren sich nach und nach immer neue Klänge und blinkende Lichter zu einem großen Tingeltangel.

Die von Robinsons Stern vorgeführte Diskrepanz zwischen der biblischen Geschichte der Zerstörung der Welt, auf die das Reich Gottes folgt, und den billigen Lichteffekten der Unterhaltungsindustrien könnte nicht größer sein, könnte man meinen. Die Dialektik von „tiefer“ Religiosität und „oberflächlichem“ Entertainment ist dem Europäer unheimlich. Dabei entspringen beide, amerikanische Religion und amerikanischer Pop, einer zugespitzten Form des Individualismus, in der der Einzelne sich ins Verhältnis zu Gott setzen muss, seines eigenen Glückes Schmied ist und diese Idee auch jederzeit im sozialen Raum performen kann.

Das Recht, nach Glück zu streben, hat bekanntlich in die amerikanische Verfassung Eingang gefunden. Dem großen Lawrence Weiner ist es aber vorbehalten geblieben, durch eine kleine Ergänzung die individual-apokalyptische Komponente des Terminus ans Tageslicht zu bringen. An eine der Hallenwände hat Weiner großformatig das Motto angebracht, das die Zusammenkunft von diesseitigem Glück und messianischer Erwartung aufs Knappste komprimiert: „A Pursuit of Happiness ASAP“, as soon as possible, sobald wie möglich also.

Muss man sich das Streben nach Glück immer als lineares Unterfangen vorstellen? Mitten in der Halle dreht sich das minimalistische Karussell von Karyn Olivier, auf dem weder Pferde noch Kutschen oder Autos angebracht sind. Wer mitfahren möchte, kann sich auf einen Stuhl setzen, ganz gemächlich im Kreis drehen lassen und über den Titel der Arbeit meditieren: „It’s not over ’til it’s over“. Das mag eine Aufforderung sein, niemals aufzugeben, kann aber genauso gut auf eine lange Agonie verweisen. Alles nur eine Frage der Perspektive. Oliviers Kollegin Janine Antoni hat an einem Strand auf den Bahamas ein Seil gespannt, das wie ein zweiter Horizont über dem Wasser zu schweben scheint. Doch wenn die Künstlerin aus dem Off ins Bild tritt, um hindurchzubalancieren, dann trifft das Seil durch ihr Gewicht exakt den echten Horizont, über den sie so zu wandern scheint.

Rosane Chamecki und Andrea Lerner haben sich für ihr Video „Flying Lesson“ etwas nicht minder Simples ausgedacht. Erst sieht man die beiden Künstlerinnen in einer alten Fabrikhalle schwerfällig zum Takt des Rufes „Unos, dos, tres!“ auf und ab hüpfen. Die weißen Vogelschwingen, die sie sich an den Armen befestigt haben, scheinen ihren Zweck nicht zu erfüllen. Doch dann heben sie ab, fliegen durch die Straßen und drehen Pirouetten. Wie es scheint, haben die beiden Frauen am Schnittplatz nur diejenigen Frames verwendet, auf denen sie sich in der Luft befinden. Wer fliegen will, muss sich was einfallen lassen.

Aber auch Superman fliegt nicht immer. William Pope.L (sic!) zeigt ein Video seiner Performance „The Great White Way“, in deren Verlauf er sich mühsam den New Yorker Broadway entlangrobbt. Angetan ist der 1955 geborene Afroamerikaner dabei mit einem Superman-Kostüm und einem auf den Rücken geschnallten Skateboard. Dieser Superman lässt sich nicht beirren, und er macht auch keinen allzu unglücklichen Eindruck. Der Mensch, der auch in schwieriger Lage Würde und Humor bewahrt, ist das Gegenmodell des deutschen Hangs zum Selbstmitleid. Die Kuratoren präsentieren im Wedding poetische Momente, die uns viel darüber berichten, wie man sich auch erzählen kann.

Bis 3. Mai. Uferstr. 8–11, Di.–So. 12–18 Uhr, Do. 12–18 Uhr