: Bikini nach Vorschrift
„Erholungszone Deutschland“: Die Fotografinnen Valeska Achenbach und Isabela Pacini spüren im Altonaer Museum Verkleidungen nach
von Petra Schellen
Vielleicht ist es mit den Menschen wie mit Möbelstücken: Man kann sie hier- oder dorthin rücken, sie auf säuberlich angelegten Prä-Umzugs-Zeichnungen mal in zwei, mal in drei Metern Abstand von der Tür platzieren – um dann beim Live-Umzug stets zu bemerken, dass das alles nicht passt. Dass die Tür jetzt nicht mehr aufgeht oder dass sich der Schrank direkt ins Sofa öffnet. Und dass das Gemälde leider ganz unsäglich wirkt über dem grellgrünen Küchentisch. Also wird erneut verrückt, verstellt, zurecht arrangiert – mal mehr, mal weniger passend. Und irgendwann tritt dann ja auch die natürliche möbelgemäße Vergilbung ein, die zumindest farblich einen gewissen Gleichklang erzeugt.
Wie aber ... verhält sich das eigentlich mit der Spezies Mensch: Lässt auch sie sich beliebig an andere Orte verschieben? Ist zum Beispiel der – wissenschaftlich längst kodifizierte – „gemeine Tourist“ beliebig versetzbar, wird er sich der Umgebung bis zur Unkenntlichkeit angleichen, sofern er das richtige Kostüm wählt?
Je nun, an solcherlei Thesen sind – auch angesichts der Ausstellung „Erholungszone Deutschland“ der Hochschul-Absolventinnen Valeska Achenbach und Isabela Pacini im Hamburg-Altonaer Museum – Zweifel angebracht: Recht linkisch stehen die Touristen, die die beiden stets im Team auftretenden Fotografinnen in ganz Deutschland abgelichtet haben, herum, ohne dass man zunächst genau sagen könnte, woran das liegt: Das Kostüm ist bis zur Perfektion gestylt, die Badehose passt akkurat zur Ostsee, und auch die Bayern-Knickerbocker lassen nichts zu wünschen übrig. Mit ausflugsgemäßem Riesenfernglas ausgestattet, ist der Kurzbehoste reinen Gewissens auf den Gipfel gestiegen. Die Angelgarnitur von Vater und Söhnen sitzt perfekt.
Und doch scheint all dies nicht zu reichen, um sich dem fremden Ambiente gänzlich anzupassen: Stolz, aber auch leicht verunsichert lächeln all diese Ertappten in die Kameras. Dabei posieren sie natürlich bewusst und haben sich freiwillig ins fotogene Umfeld gestellt. Doch ganz, ganz leis scheinen sie zu spüren, dass irgendetwas nicht stimmt an ihnen – und dass das nicht ausschließlich am Outfit liegt. Sondern dass es vielmehr die Handlung, das verzweifelte Bemühen um Assimilation an eine Landschafts-, Folklore- und Dialektkulisse ist, die Selbstzweifel sät.
In eine getigerte Weste hat sich etwa die ältere Jahrmarkt-Kassiererin gezwängt, um sich dem Ort gemäß zu kleiden; darunter trägt sie, geschmackvoll kombiniert, Kette und Pullover. Und paradoxerweise ist die – doch so gut gemeinte – Verkleidung das einzig Fremde an ihrer Erscheinung: Der Versuch, kompatibel zu sein, ist komplett ins Gegenteil gekippt. Neben solch nicht-karnevalesker Künstlichkeit wirken sogar die daneben abgebildeten Plastikfische echt: Sie jedenfalls wissen, dass sie Mimikry betreiben, ihr Plastiklächeln hat Charme. Sollte das bruchlos inszenierte Plastik-Schauspiel etwa authentischer sein als menschliche Verkleidung? Und was ist zu jenen am Düsseldorfer Rheinufer lungernden Karnevals-Jecken zu sagen, die in gelben Flauschkostümen stecken und sich ein versonnenes Päuschen gönnen? Als hätten sie ihre Kostüme vergessen, stehen sie da – und der Insider kann‘s dem Zugereisten versichern: Sie haben es vergessen. Denn kein Mensch denkt rosenmontags ganztägig an sein Kostüm; schließlich laufen im Rheinland um diese Zeit alle so herum.
Gar wunderlich und außerordentlich liebenswert wirken auch die Gestalten vom Meer: Ihre akkurat sitzende Bürofrisur, die elegante Brille und den gestrengen Blick hat die blasse Dame im Bikini noch nicht abgelegt; sie ist sichtlich grad erst angekommen. Kleine Ironie am Rande: Direkt daneben wurden am Strand fotografierte Duschen gehängt; wozu braucht man auch Wasser von oben, wenn es doch so üppig von unten fließt? Und dann gibt‘s da noch die wohlwollenden, aber empfindlich-furchtsamen Senioren, denen man ihre Maskierung genauso wenig übel nimmt wie allen anderen Protagonisten dieser Ausstellung, die zwar subtile Komik transportiert, aber niemals ins überhebliche Feixen abdriftet: Subjektive Zufriedenheit der Porträtierten – ob die Fotografin diese teilt oder nicht – vermittelt sich auf den Fotos sowie ein nie besiegter Selbstzweifel, der als Teil der Kostümierung in Kauf genommen wird. Da ist zum Beispiel das Seniorenpaar, das sich für seinen Strandbesuch mit Baumwollhütchen gegen Wind und Sonne gewappnet hat. Dabei stürmt es weder auf diesem noch auf irgendeinem anderen Foto der Ausstellung; insgesamt vermitteln die teils absichtlich überbelichteten, durchweg pastellen kolorierten Fotos übrigens die Dia-Abend-Ästhetik de Siebziger. Aber man weiß ja nie, werden sich die beiden alten Leute gesagt haben – wir als Binnenländer sind ja so empfindlich...
Ähnlich sensibel mag der alte Herr in Badehose sein, der sich sichtlich erfreut auch noch das Bade-Käppi aufgesetzt hat. „Jetzt bin ich gewappnet für das Abenteuer Urlaub, für den Ausflug auf den anderen Stern, jetzt kann mir nichts passieren“, scheint er zu denken. Denn das Käppi bringt ihn – einem Astronautenanzug gleich – in Sicherheit in der fremden Welt. Und neben diesem zutiefst menschlichen Bedürfnis verblasst jeder Anflug von Süffisanz, mit der der „echte“ Küstenbewohner derlei Zierat kommentieren mag.
Di–So 11–18 Uhr, Altonaer Museum; bis 23.1.2005