piwik no script img

Archiv-Artikel

„Streiken und Scheine machen“

Vorsicht, die Germanisten kommen: Gestern besetzten FU-Studenten die taz. Mitgebracht haben sie ausgerechnet Robert Musil – und ihren Dozenten. Ein Interview über „vorteilhafte Protestformen“

Studentenproteste in der taz: Um 14 Uhr will ein Germanistikseminar die Redaktion besetzen. Tatsächlich: Um 14 Uhr 15 ist es so weit. 30 junge Leute dringen in das Gebäude ein und zücken Bücher. Die zum Interview angetretene Protestdelegation besteht aus Michael Bries (24), Nicolai Goetz (25), Stephanie Kirchner (23) und Dr. Norbert Christian Wolf.

taz: Na, klar: cum tempore.

Nicolai Goetz: Das müssen wir unserem Dozenten in die Schuhe schieben: Er kam zu spät.

Ihr habt vorher Bescheid gesagt, ruft keine Parolen und versucht nicht den Betrieb lahm zulegen. Das ist doch keine ordentliche Besetzung!

Stephanie Kirchner: Das ist keine klassische Besetzung. Während die Universität bestreikt wird, bitten wir Institutionen, uns einen Raum zu geben. Damit das organisatorisch klappt, sagen wir vorher Bescheid. Dann machen wir ganz normal unsere Seminare: Heute gehte es zwei Doppelstunden lang um Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“.

Und der Dozent ist bei der Besetzung mit dabei?

Dr. Norbert Wolf: Ich streike nicht, das betone ich, weil ich gar nicht streiken darf. Aber ich bin angehalten, Seminare auf keinen Fall ausfallen zu lassen. Und wenn die Studierenden sagen, sie wollen das Seminar in der taz hören, halte ich es eben in der taz.

Stephanie Kirchner: Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass wir gleichzeitig streiken und Scheine machen können. So verliert keiner ein Semester und muss dann länger studieren.

Mitarbeiter und Studenten Hand in Hand?

Nicolai Goetz: Es geht ja auch um die Dozenten und ihre Arbeitsplätze. Wenn hier Stellen abgebaut werden, verschlechtert sich die Qualität der Lehre. Und für Nachwuchswissenschaftler ist es natürlich auch ein gewisses Manko, wenn es kaum mehr Stellen an der Uni gibt.

Ihr wollt Öffentlichkeit. Okay: Hier sind zwanzig Zeilen. Jeder eine Forderung.

Michael Bries: Ich fordere, dass der Senat die beschlossenen Kürzungen zurücknimmt.

Stephanie Kirchner: Ich bin gegen die Einführung von Studiengebühren.

Nicolai Goetz: Die Kürzungen haben bei den Haushaltslöchern doch nur symbolische Bedeutungen. Dafür die Unis kaputt zu machen, das dürfen wir nicht zulassen.

Dr. Norbert Wolf: Mein Vorschlag: Die Herrschaften von SPD und CDU, die Milliarden an öffentlichem Eigentum vernichtet haben, könnten einen Teil davon wieder gutmachen. Wie Helmut Kohl, der Geld sammelte, nachdem sein Spendenskandal aufgeflogen war. Herr Landowsky sollte auch sammeln, um den Schaden, der durch die Bankgesellschaft entstand, zu heilen.

Ihr wollt keine Veränderungen und einfach zurück zu den fetten Jahren. Ist das nicht konservativ?

Michael Bries: Nein. Aber bei den Veränderungen, die jetzt geplant sind, würde sich die Uni nur negativ entwickeln. Wir lehnen Veränderungen nicht pauschal ab. Aber überfüllte Seminare noch überfüllter zu machen, ist eine Veränderung, die wir in der Tat ablehnen.

Nicolai Goetz: Hier geht es doch gar nicht um Veränderungen, sondern um schlichte Sparmaßnahmen.

Spräche für Studiengebühren nicht, dass es dann wieder Seminarplätze gäbe und Bücher und Professoren vielleicht sogar montags und freitags an der Uni wären?

Stephanie Kirchner: Viele Kommilitonen von uns sind gar nicht prinzipiell gegen Studiengebühren. Aber sie wissen genau: Die Studiengebühren würden nichts an der Uni verbessern, sondern einfach in die Haushaltslöcher fließen.

An Eurer Uni werden keine Gebühren erhoben, aber es wird bald ein Credit-Point-System eingeführt.

Stephanie Kirchner: Ja, grauenhaft. Jeder von uns bekommt eine Chipkarte. Bildung wird zur Ware, die Erhebung von echten Gebühren ist da nur eine Frage der Zeit.

Viele meinen, ihr seid naiv: Ihr rennt Sympathisanten die Bude ein, lasst Euch für Euer Engagement loben und es ändert sich doch nichts.

Nicolai Goetz: Nein. Wir haben Büros von PDS- und SPD-Politikern besetzt und sind wegen Hausfriedensbruchs angezeigt worden. Am Anfang haben uns alle getätschelt, aber langsam fangen wir an zu nerven.

Dr. Norbert Wolf: Bei unserer Aktion machen wir interessante Beobachtungen. Im Kaufhaus Lafayette in der Friedrichstraße durften wir ein Seminar abhalten. Bei Dussmann hat es nicht geklappt. Und die SPD hat Kommilitonen achtkantig rausgeschmissen.

Versucht es doch einmal im Hochaus hier über die Straße – beim Springer Verlag. Aber Vorsicht! Die haben dort Wachschutz.

Dr. Norbert Wolf: Dort wollen wir unser Seminar beim nächsten Mal abhalten. Wir haben schon angefragt, ob es einen Raum gibt. Die haben geantwortet, sie müssen erst schriftlich in der Chefetage anfragen.

INTERVIEW: ROBIN ALEXANDER