: „Mit Problemen allein gelassen“
Krach im Schulausschuss Kreuzberg: Weil die Kurt-Held-Grundschule geschlossen und ihre Pennäler verteilt werden sollen, gehen die umliegenden Schulen, ihre Lehrer und Eltern auf die Barrikaden
VON ULRIKE LINZER
„Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt: Ende September erhielten wir Listen für ein vergrößertes Einzugsgebiet“, ärgert sich Mario Dobe, Direktor der Hunsrück-Grundschule in der Manteuffelstraße. Der Ärger kommt daher, dass die Kurt-Held-Grundschule im nächsten Jahr geschlossen wird. Ihre Schüler sollen von den anderen in Kreuzberg 36 übernommen werden. Begründet wird diese Sparmaßnahme mit den rückläufigen Klassenfrequenzen.
Die Kurt-Held-Grundschule gilt als Problem-Grundschule. Mit 98 Prozent Migrantenkindern gibt es nur noch Förderklassen, Vermischung findet nicht statt. Jetzt befürchten die anderen Grundschulen, dass dies auf Kosten ihrer Schüler und Konzepte geht. „Die Raumkapazitäten fehlen, ebenso Lehrer“, meint Direktor Dobe. Auch befürchtet man eine weitere Abwanderung von bildungsbewussten deutschen und nichtdeutscher Eltern.
Auch die Heinrich-Zille-Schule ist betroffen. Die gebundene Ganztagsschule ist für ihre integrative Arbeit mit geistig und körperlich behinderten Kindern ausgezeichnet worden. „Für uns entsteht ein akutes Raumproblem“, sagt Sabine Koller-Hesse, Lehrerin in der 2. Klasse. Sie befürchtet, dass mit der Übernahme anderer Schüler weniger behinderte Kinder aufgenommen werden können und weitere Familien abwandern.
Auf der Sondersitzung des Schulausschusses zum Thema am Dienstagabend mit Lehrern, Eltern und Politkern hat Ayden Kaya als Letzte das Wort ergriffen. Die 35-jährige Türkin ist Elternvertreterin und früher selbst zur Kurt-Held-Grundschule gegangen. Sie ist der Ansicht, dass die Schulbehörde ihre Aufsichtspflicht verletzt habe. „Die Schule wurde mit ihren Problemen allein gelassen.“ Sie sei heruntergewirtschaftet worden, die deutschen Kinder abgewandert.
„Ich war in einer Multikulti-Klasse, verdanke meine Deutschkenntnisse meinen Mitschülern. Diese Chance wünsche ich mir auch für meine Kinder“, so Kaya. Deshalb fordert die Elternvertretung nicht nur die Erhaltung des Standorts, sondern auch gezielte Stützmaßnahmen auf finanzieller und personeller Ebene.
Auch die geladenen Referenten sprachen sich dafür aus, dass gerade in sozial schwachen Quartieren die Grundschulen mehr gefördert werden müssen. „Hier begegnen sich Kinder aus allen Nationen und sozialen Verhältnissen. Hier werden die Grundsteine für Verständnis und Toleranz gelegt. Eine besonders gute Ausstattung, finanziell und personell, von Grundschulen in sozial schwachen Quartieren“ benennt der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann als „zentrale Maßnahmen“.
Ungefähr vierhundert Eltern, Kinder und Lehrer kamen am Dienstag ins Rathaus Kreuzberg, um gegen die Schließung der Kurt-Held-Grundschule und die damit verbundene Umverteilung der Schülerinnen und Schüler auf die anderen Grundschulen zu protestieren. „Unser Argument: Durch die Schulschließung entstehen Folgekosten, die für den Bezirk weitaus größer werden, als es die jetzigen Einsparungen sind“, meint der Vater eines der Schüler.
Der emeritierte Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Daniel Krappmann, nennt es am Schluss der Veranstaltung „kontraproduktiv, die Bedingungen in Grundschulen zu verschlechtern“. Im Hinblick auf Pisa sagt er, dass im internationalen Vergleich deutsche Grundschulen unterfinanziert seien.
Für Sigrid Klebba, SPD-Schulstadträtin, spielt das keine Rolle: „Die Schließung ist alternativlos. Eine Aufrechterhaltung des Standorts geht zu Lasten anderer Schulen.“