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Archiv-Artikel

Linke zofft sich um Starttermin für den Sozialismus

KAPITALISMUSKRITIK Die Partei streitet über ihr Programm. Den Fundis fehlt es an Ideologie

„Wer glaubt, dass wir in vier Jahren den Sozialismus einführen, hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank“

DIETMAR BARTSCH

BERLIN taz | In der Linken ist ein Streit über das Programm für die Bundestagswahl ausgebrochen. Die radikale Antikapitalistische Linke (AKL) kritisiert, der etwa 60-seitige Programmentwurf sei „Anbiederung ans Establishment“. Er sei „verwässert und weich gespült“ und könne auch von SPD oder Union stammen.

Die Parteilinke Ulla Jelpke fordert ein „klar antikapitalistisches Programm“. „Wir wollen ein anderes System“, so Jelpke zur taz. In dem Entwurf fehle die Forderung, dass „Hartz IV wegmuss“. Auch dass das Wort „Sozialismus“ an keiner Stelle auftauche, zeige, dass der Entwurf auf die vorauseilende Anpassung an Rot-Grün ziele.

Die AKL will ihre Forderungen nach einem radikaleren Programm im Parteivorstand am 10. Mai und auf dem Wahlparteitag im Juni durchsetzen. Unterstützt wird sie dabei von Teilen der Sozialistischen Linken (SL) und der Kommunistische Plattform (KPF) um Sahra Wagenknecht. Wagenknecht lehnt den Entwurf allerdings komplett ab. „Er ist so unzulänglich, dass es uns sinnlos erscheint, Änderungsanträge zu stellen“, heißt es in einer Erklärung der Kommunistischen Plattform. Wagenknecht, die schon 2006 ohne Erfolg die programmatischen Eckpunkte der Partei verdammte, will, dass der Parteivorstand einen völlig neuen Entwurf vorlegt.

Damit beißt sie allerdings in der Parteizentrale auf Granit – vor allem beim Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch, der den Programmentwurf verantwortet. „Es hätte mich geschmerzt, wenn Sahra Wagenknecht mich nicht angegriffen hätte“, so Bartsch zur taz. Der Entwurf müsse zwar zum Beispiel, was Ostdeutschland betreffe, präzisiert und zugespitzt werden, die Fundamentalkritik – etwa, dass das Wort „Sozialismus“ fehle – sei aber völlig unangemessen. Sinn des Wahlprogrammes sei es, Ziele für die nächsten vier Jahre zu beschreiben. Wer glaubt, so Bartsch, „dass wir in vier Jahren den Sozialismus einführen, hat nicht alle Tassen im Schrank.“ Mit „Verbalradikalismus aus dem letzten Jahrhundert“ werde die Partei sich selbst isolieren. Ähnlich sieht das auch der Bundestagsabgeordnete Jan Korte, ebenfalls Realo: Es sei „ein alter linker Irrglaube, dass in der Krise radikale Sprüche nutzen“.

So zeichnet sich die übliche Frontlinie ab. Die PDSler um Gregor Gysi und Bartsch plädieren für maßvolle Forderungen, die vor allem im Westen starke AKL tritt für einen entschieden antikapitalistischen Kurs ein. Manche Realos fürchten nun, dass die AKL mit Losungen wie „Hartz IV muss weg“ oder „Deutschland raus aus der Nato“ den Parteitag im Juni für sich mobilisieren und die Linke auf ihren Kurs zwingen kann. Ein der Sozialistischen Linken nahestehender Bundestagsabgeordneter warnt vor einem „Wahlprogramm mit radikaler Bekenntnislitanei“.

Eine Schlüsselrolle wird mal wieder Oskar Lafontaine spielen, der oft gegen die Ost-Realos Stellung bezog. In der Frage des sofortigen Nato-Austritts allerdings haben die Fundis in Lafontaine keinen Mitstreiter. In der Fraktionssitzung am Dienstag plädierte Lafontaine für eine Linie, die die Sicherheitsbedürfnisse der Bürger berücksichtige. Die Nato müsse in eine kollektive Sicherheitsstruktur überführt werden. Das war sogar manchem Realo eine zu „sozialdemokratische Rede“. STEFAN REINECKE

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