: Schuh-Würfe auf Elbvilla
EUROMAYDAY Angehörige des Prekariats feiern das Ende des Neoliberalismus. Fahrradkorso auf der Elbchaussee nach Blankenese. Große Demonstration am 1. Mai
VON GERNOT KNÖDLER
Der Schuhwerfer von Bagdad hat der Welt eine neue Geste des Protests und der Verachtung geschenkt. Statt auf ein Staatsoberhaupt wie George Bush sind die Schuhe am Sonntagnachmittag aber in den Garten einer Villa an der Elbchaussee geflogen. Die Aktion war Teil eines Fahrradkorsos von Altona nach Blankenese, mit dem rund 50 Mitglieder der Euromayday-Bewegung das Ende des Neoliberalismus feierten. „Ihr seid die Loser des nächsten Jahrzehnts“, hieß es im Flugblatt zu der Aktion.
Die kleine Demonstration gehörte zur Vorbereitung auf den Euromayday am 1. Mai auf der Michelwiese. Am Tag der Arbeit macht die nicht an die Gewerkschaften gebundene Linke seit einigen Jahren darauf aufmerksam, wie schwer es für Freischaffende, Erwerbslose, Dauerpraktikanten und Flüchtlinge ist, wirtschaftlich über die Runden zu kommen. „Es geht darum, die Bedingungen sichtbar zu machen, unter denen wir leben“, sagt Arndt Neumann, einer der Teilnehmer.
Der Konvoi war eine Mischung aus politischem Statement und Kunstaktion. Nicht umsonst startete er vor dem ehemaligen Altonaer Einkaufszentrum in der Neuen Großen Bergstraße, wo viele KünstlerInnen vorübergehend untergekommen sind. Vor der Tür des Musikclubs Goldener Salon malten TeilnehmerInnen Protestschilder mit Spruchblasen wie „heute hab’ ich krisenfrei“. Sie montierten Angeln mit übergroßen Karotten an ihre Räder – als Metapher für das vergeblichen Sich-Abstrampeln im Kapitalismus. Auf den Gepäckträgern klemmten vietnamesische Einkaufstaschen als Symbol für die Migration.
Viele Teilnehmer trugen Flügel oder Superhelden-Kostüme. „Uns interessiert der Moment der Verwandlung“, sagt Neumann. „Der Superheld steht für die Kräfte, die wir haben, um die Gesellschaft zu verändern.“ Auch technisch war der Demozug auf der Höhe der Zeit: Ein Lastenrad transportierte einen drahtlos bedienbaren Verstärker mit einem kleinen Stromgenerator. Daraus klang ein Abgesang auf das Vokabular des Neoliberalismus: Deregulierung, Privatisierung, Shareholder Value, Fördern und Fordern, Lohnzurückhaltung, Einsparung, Markt, Markt, Markt.
„Es ist toll dass es vorbei ist“, sagt Neumann. Das Prekariat lebe schon länger in der Krise. Jetzt treffe es endlich auch die neoliberalen Siegertypen. „Ole von Beust entdeckt Marx, die Grünen Sven Giegold“, sagt eine Rednerin. „An den Neoliberalismus kann sich keiner mehr erinnern – nicht einmal Margaret Thatcher.“
Die Anwohner der Elbchaussee nehmen den kleinen Zug befremdet bis belustigt zur Kenntnis. Ein alter Mann auf einem Dachbalkon klatscht in die Hände. Es ist nicht ganz klar, ob er es ernst oder zornig-ironisch meint. Gegenüber von der Villa, auf die die Schuhe fliegen, wohnt eine multiethnische Wohngemeinschaft. Mit etwas Geschick könne man auch ohne viel Geld schön leben, sagt einer der Mitbewohner, während der Konvoi gen Blankenese weiterradelt. Die Haftstrafe des Schuhwerfers von Bagdad ist kürzlich von drei Jahren auf eines reduziert worden.