: Sängerwettstreit der Kulturen
ALLA TURCA Den Grenzgängern zwischen türkischer Musik, Jazz, Flamenco und mehr widmet sich eine Konzertreihe der Berliner Philharmonie
Rondo alla turca nannte Mozart den dritten Satz seiner elften Klaviersonate, der, inspiriert von der Marschmusik der Janitscharen, als „türkischer Marsch“ Karriere machen sollte. Der Ausdruck „alla turca“ klingt daher für musikalisch vorgeprägte Personen vertraut. Wenn nun die Berliner Philharmonie eine Konzertreihe „Alla turca“ nennt, so berücksichtigt dies, nicht ohne milde Ironie, auch das Wissen um die Angst des angestammten Publikums vor dem fremden Klang. Wo Mozart unterschwellig mitklingt, da kann Heimat nicht weit sein.
Fünf Konzerte und begleitende Veranstaltungen umfasst die Alla-turca-Reihe in dieser Saison, die sich auf den Dialog verwandter Instrumente aus unterschiedlichen Kulturen konzentriert. Am Mittwochabend schlug im Kammermusiksaal die Stunde derjenigen, die wohl am korrektesten mit „Lauteninstrumentvirtuosen“ zu bezeichnen wären. Dafür waren aus der Türkei zwei Musiker eingeladen: der Baglama-Spieler und Sänger Ismail Altunsaray sowie Erkan Ogur, der nicht nur als Meister der Langhalslaute – umgangssprachlich „Saz“, korrekt „Baglama“ genannt – und als Grenzgänger zwischen klassischer türkischer Musik und Jazz gilt, sondern auch Erfinder der bundlosen Gitarre ist, die eine differenziertere Intonation ermöglicht als die in Halbtönen gestimmte klassische Gitarre.
Auch dieses Cross-over-Instrument brachte Ogur, unter mehreren anderen, im Laufe des Abends zu Gehör; ein leider allzu kurzes Intermezzo. Gern hätte man mehr von dieser innovativen Eigenentwicklung gehört, die den reichen Klang des „westlichen“ Gitarrenkörpers mit einem reichen orientalischen Tonspektrum verbindet. Nach einem CD-Stand suchte man im Foyer vergeblich.
Anschließend war der Flamenco-Gitarrist Paco Peña zusammen mit dem Sänger Miguel Ortega zu erleben, in deren spanischer Musik etwas sehr deutlich wurde: das Primat des Gesangs vor dem Instrument. Ursprünglich vor allem als Begleitinstrument genutzt, sind sowohl Baglama als auch Gitarre erst spät auch solo zu Ehren gekommen. Und so virtuos auch die Solodarbietung traditioneller Flamencostücke ist, die Peña zunächst vorträgt, so wenig spielt sich im Gitarrenpart das große Drama ab. Dieses beginnt erst, sobald der Sänger Miguel Ortega den Mund öffnet und sich damit von einem äußerlich ganz unauffälligen Zeitgenossen in einen expressiven Darsteller vollendeten Schmerzes verwandelt.
Die emotionalen Schwingungen, in die der Kammermusiksaal dadurch versetzt wird, bereiten den Boden für das furiose Finale, für das türkische und spanische Musiker sich in einer gemeinsamen Besetzung zusammenfinden. Zwei vorbereitete Improvisationsstücke münden in einen großen Dialog der Sänger, ja einen Sängerwettstreit, zwischen Altunsaray und Ortega. Das Publikum, eine freundliche deutsch-türkisch-spanische Mischung, hält es beim Schlussapplaus nicht mehr auf den Sitzen. Man bedankt sich mit Ovationen.
Zwei Tage später zieht eine noch buntere Zuhörerschaft in die Philharmonie ein, denn auch das Education-Team hat, die Konzertreihe begleitend, wieder eine Veranstaltung auf die Beine gestellt. Schulchöre von sechs Berliner Oberschulen haben unter Anleitung türkischer Musiker klassische türkische Lieder eingeübt und führen sie, begleitet von den Saz-Ensembles zweier Musikschulen, gemeinsam im Foyer der Philharmonie auf. „Sind Sie öfter hier?“, fragt die junge Frau neben mir, die, wie sie erzählt, im türkischen Chor der Musikschule Mitte singt. Für sie selbst ist es der erste Besuch in diesen Hallen, wie wahrscheinlich auch für viele der Mitwirkenden. Vielleicht kommt ja der eine oder die andere auch zum nächsten Alla-turca-Konzert am 27. Mai. Dann trifft das Ensemble amarcord im Kammermusiksaal auf den Staatlichen Chor für klassische türkische Musik aus Istanbul. (Karten ab 10 Euro.)
KATHARINA GRANZIN