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Archiv-Artikel

Und das soll wirklich Spaß machen?

Altwerden ist furchtbar. Das meinen Christa Geissler und Monika Held. In ihrem Buch „Generation Plus“ tragen sie Erfahrungsberichte zusammen. Manche sind erschütternd, manche urkomisch

Ältere Menschen sind älter als alte. Alte heißen heutzutage Senioren, sind ausnehmend kregel, verjuxen ihre Renten zulasten der Jungen auf den Kanarischen Inseln und auf Kreuzfahrten. Sie drängeln sich sinnsuchend und -stiftend in Ehrenämtern, frequentieren, „forever young“, Badeorte und Tanztees. Ältere Menschen sind richtig alt, jenseits der Vorzeigegrenze, multimorbide, kein Thema.

Altwerden macht Spaß? Alles Lüge! Sagen jedenfalls Christa Geissler und Monika Held in ihrem Buch „Generation Plus“: Altwerden ist furchtbar! Und es geht uns alle an. Die beiden Journalistinnen haben Dutzende mehr oder minder Betroffener interviewt und deren Erfahrungen auf über 300 Seiten zusammengetragen. Die meisten Kapitel sind im Protokollstil gehalten, eindringlich komprimiert, manchmal erschütternd und dennoch urkomisch.

Zu einer Lesung der Autorinnen in Frankfurt waren bei rappelvollem Saal fast ausschließlich Frauen gekommen. Altern geht zwar alle an, Frauen wohl aber mehr. Sie können auch lachen über die Sorgen und Nöte bei der Beobachtung eines natürlichen Prozesses, der nicht nur gesellschaftlich, sondern auch individuell gerne verdrängt werden würde. Nur: Ein kritischer Blick in den Spiegel lässt das kaum zu. Die Autorinnen bringen es auf den Punkt: „Diese Plissees um den Mund! Diese Kerben rechts und links der Nase! Dieses Doppelkinn … Die Haare sind dünner geworden, dafür wachsen sie jetzt auf der Oberlippe.“ Und der ganze Rest ist auch erschlafft. Und das soll Spaß machen?

Altwerden aber ist nicht mehr nur Sache der Frauen. Auch Männer, die früher lediglich in die besten Jahre kamen, sind heute oft überfordert von der Verantwortung für die alt gewordenen, pflegebedürftigen Eltern oder fühlen sich selbst frühzeitig ausgemustert. Probleme mit dem Älterwerden stellen sich in der jugendwahnsinnigen Konsumgesellschaft auch nicht erst mit dem Näherrücken des Rentenalters ein, sondern auch die Jüngeren und Jungen empfinden sich bei steigender Lebenserwartung selbst oft schon früh als zu alt. Falten, Runzeln, Knitter, Zahnersatz, Altern ist unästhetisch. So jedenfalls fühlt es sich für etliche der Interviewten an. Das treibt eine gerade 45-jährige Sozialarbeiterin zu strenger Selbstbeobachtung: „Die Schamhaare fangen an, dünner zu werden, die entwickeln sich mal zur berühmten unteren Glatze. Und was ich auch festgestellt habe: Die Schamlippen werden lascher. Ist das nicht gruselig?“

Ist es, zweifelsohne. Noch gruseliger zu lesen aber ist die Obsession einer Rechtsanwältin, die von kostspieligem Outfit zur teuren Fitness gewechselt hat und Wohnung und Büro zwecks Aufhalten des Alterungsprozesses in regelrechte Wellness-Folterkammern verwandelte. Das Buch beleuchtet das Altern aus den verschiedensten Blickwinkeln. Da ist die Tochter, die es nicht ausstehen kann, dass sich ihre Mutter – ihrer Meinung nach – zu jugendlich anzieht. Dort der Schönheitschirurg und die mehrfach Geliftete, die vom Mann als zu alt befundene Verlassene, der Sohn, der der Alzheimer-Erkrankung seines Vaters hilflos gegenübersteht, die 59-jährige Psychologin, die kleine Abschiede nimmt: keine Bettwäsche mehr kaufen, die alte reicht noch bis ans Lebensende.

Auch Prominente kommen zu Wort: die Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich, die Modedesignerin Gabriele Strehle und der Jazzer Bill Ramsey, die Erfinderin des Frauenmagazins Cosmopolitan, Helen Gurley Brown, Buchautorin Isabella Nadolny, Liedermacher Konstantin Wecker und der Schauspieler Peter Sodann. Sie aber fallen zurück hinter die eindringlichen Konfrontationen, denen sich die weniger berühmten Befragten aussetzen, die der Schatten des Alters nicht nur gestreift, sondern fast zugedeckt hat.

Was wird sein, wenn ich selber so werde, fragt ein Möbelrestaurator, dessen Vater in den letzten Jahren wieder zum Kleinkind geworden ist: „Niemals möchte ich zu einem Wesen werden, das keine Verantwortung mehr für sich selber übernehmen kann und keine Verantwortung mehr für andere. Niemals. Mein Vater ist ein Geschöpf, das ich nicht kenne.“

Der Dichter Hugo von Hofmannsthal ist 1929 vor dem Erreichen des derzeitigen Rentenalters gestorben. Er schrieb: „Alt werden ist immer noch die einzige Möglichkeit, lange zu leben.“

HEIDE PLATEN

Christa Geissler, Monika Held: „Generation Plus. Von der Lüge, dass Altwerden Spaß macht“. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2003, 350 Seiten, 12,90 Euro