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Archiv-Artikel

Auf den Hund gekommen

Der Untergang des politischen Interviews: Das Problem sind nicht die Politiker, sondern die Journalisten. Sie haben schließlich die Spielregeln geschaffen. Eine GegenpositionVON MANFRED KRIENER

Das Grauen geht um. Der Politiker, jene verhasste und verlogene, aus Knetgummi geformte Spezies, vergreift sich an unseren Interviews. Er zerstört sie nicht nur durch seine zur Perfektion getriebene Kunst des Nichtsagens, er will sie auch noch autorisieren. Dabei metzelt und zensiert er, dass es rauscht im Blätterwald. Am Ende steht der Journalist weinend im Layout und hat kein Gespräch mehr zum Wegdrucken. So sind sie, die Politapparatschiks.

Selten gab es eine verlogenere Debatte, als die vom tapferen Redakteur, dem der fiese Politiknik die Arbeit kaputt zensiert. Selbstgefällig wird ein Kriegsschauplatz eröffnet, der, weit weg von jeder Realität, vor allem der eigenen Beweihräucherung dient. Das Problem der Interviews sind nicht die Politiker, sondern die Journalisten. Längst hat sich in der Journaille ein Arbeitsstil durchgesetzt, der jede Authentizität preisgibt. Interviews sind in der Regel nicht anderes, als eine von beiden Seiten freihändig zusammengezimmerte Kunstform, die dem Leser ein Zwiegespräch mit viel Dynamik und Interaktion vorgaukelt, das so nie stattgefunden hat.

Schuld an dieser Entwicklung trägt vermutlich der Spiegel. Schon zu Zeiten, als das Blatt noch Courage und politische Identität besaß, wurden dort Interviews geschnitzt. Vor einem Gespräch mit Sloterdijk für den Spiegel erklärte uns der Kulturredakteur die Technik: Hauptsache, den Gegenüber zum Reden bringen. Dann die Rosinen rauspicken, in Frage- und Antwortform gießen und das Ganze solange putzen, bis ein flotter Text entsteht. Beide Seiten dürfen ihren Part beliebig zuspitzen. So wird das Stück richtig saftig. Diese Arbeitsweise ist keine Ausnahme. Das eigentliche Gespräch liefert nur noch die Hülse. Anschließend wird gedrechselt und gebastelt, redigiert und autorisiert, mal mit und mal ohne Pressesprecher. Warum kommen selbst dialogisch dröge Dumpfbacken im Interview spannend rüber? Ganz einfach: Weil Interviews immer weniger gesprochen und immer mehr geschrieben werden.

Es geht nicht um Politik, sondern um Eitelkeit. Der Journalist will gut dastehen und sich als intelligenter Frager und hartnäckig scharfer Hund profilieren. Nur: Im O-Ton ist davon nichts auf dem Band. Sonst müsste der Journalist dem Gegenüber gnadenlos ins Wort fallen, ihn richtig nerven, was die meisten Gespräche nicht aushalten. Dann müssten sich beide mit zerzausten Haaren und blutiger Nase auf dem Teppich wälzen. Meist sieht man sie aber kuschelig Kaffee trinken. Statt hart und unverschämt zu fragen und zu intervenieren, lässt man die Gegenseite endlos reden und schiebt bei der Abschrift passende Fragen dazwischen.

Beim Fernsehen geht das nicht. Deshalb gibt es nichts Langweiligeres als ein Interview von, sagen wir mal, Ulrich Wickert. Ein schlecht vorbereiteter, inkompetenter Frager liefert Stichworte, und die Politiker mären sich aus, bis der Aufnahmeleiter die Augen verdreht. Glaubt jemand, dass Wortjournalisten besser sind? Der Unterschied ist ein anderer: Die Schreiber können hinterher die Texte frisieren. Das sieht man den Interviews auch an. So eloquent, geistreich und spritzig sind in einer spontanen Gesprächssituation weder Journalisten noch Promis. Hören Sie mal den Kollegen zu, wie sie ihre Interviews bearbeiten: „Jetzt könnte man ihn doch XY sagen lassen.“ – „Nö, das nehmen wir als Schlusspointe.“

Journalisten haben immer das letzte Wort, sie feilschen mit der Gegenseite, was sie von deren Änderungswünschen übernehmen. Sie kürzen im Layout. Bei der legendären Wochenpost wurden die Bänder öfter im O-Ton abgetippt. Da lagen dann 45 Blatt Lafontaine oder Geißler inklusive aller Ähhhs und mussten auf sechs Blatt eingedampft werden. So entstehen Interviews. Und weil der Journalist nicht in Bestform war, glich die Abschrift eher einem Vortrag von Oskar. Viel Gestammel, kein roter Faden, undruckbar, 90 Prozent des Textes mussten raus. Am Ende entstand durch Implantation von Fragen doch noch ein spritziger Text, mit Rede, Gegenrede, schwer dynamisch. Auf ähnliche Weise kamen auch zwei Grass-Interviews in die taz. Die Antworten des Großschriftstellers waren im Original breit wie das Nildelta. Da braucht es Planierraupen, die alles zum handlichen Format zusammenschieben.

Jetzt also die große Jeremiade? Natürlich ist die Form des Interviews auf den Hund gekommen. Natürlich muss sich der Interviewte absichern und auf Autorisierung bestehen. Das gehört zum Deal der journalistischen Moderne. Interviews sind Teil der Kumpanei zwischen Presse und Politik, zwischen Presse und Promis.

Die Authentizität haben die Medien längst beerdigt. Beim Fernsehen oder Radio schickt man die Fragen vorab, oder regelt im Vorgespräch, welche Themen tabu sind. Die Medien haben diese Spielregeln geschaffen. Nur: Wenn man Authentizität und Spontaneität aufgibt, nutzen auch die Gesprächspartner die Freiräume. Wo die Sitten verludert sind, haben auch Politiker keine Hemmungen mehr. Wir brauchen keine Debatte über Zensur, sondern über Form und Spielregeln von Interviews. Über unsere eigene Rolle als Teil der Misere. Wer Leser und Zuschauer bescheißt, wird manchmal auch selbst beschissen.

MANFRED KRIENER ist seit 1991 freier Journalist, davor war er taz-Redakteur

presse contra politik

Auf Initiative der taz haben sich neun Tageszeitungen dagegen gewandt, dass Politiker zunehmend nachträglich Interviews verändern.Das stößt vielerorts auf große Zustimmung. Aber es gibt auch Gegenpositionen.