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Archiv-Artikel

Noch nicht ausgeschieden

Werder Bremen trotzt lustlosem Inter Mailand ein 1:1 ab und darf sich weiter Hoffnungen auf das Erreichen des Champions-League-Achtelfinales machen

BREMEN taz ■ Wie leise 37.000 Menschen sein können. Wie ruhig das ausverkaufte Weserstadion doch ist: Ein bisschen laut gibt gerade mal die Ostkurve, verhaltener Szenenapplaus. Atmosphäre? Zwölfter Mann? Ach herrjeh. Gerne schieben Kommentatoren das Fehlen von Stimmung auf die eisigen Temperaturen, die tatsächlich herrschten am Mittwochabend bei der Champions-League-Partie zwischen Werder und Inter Mailand: Nachtfrost in Bremen. Andere sprechen von typisch hanseatischer Zurückhaltung.

Dabei wäre der weitaus passendere Begriff der des gesunden Realismus: Schon vor der Partie klang das Stadion, als wäre das Match bereits 1:1 unentschieden beendet, ganz, wie es 93 Minuten später auch stand. In der 49. Minute verwandelte Bremens Abwehrchef Valérien Ismaël einen Foulelfmeter, in der 55. markierte der erst kurz zuvor eingewechselte Obafemi Martins den Endstand, nachdem ein Lupfer von Dejan Stankovic über den zu weit hinaus geeilten Keeper Andreas Reinke vom Pfosten zurückgesprungen war.

Und vielleicht mochte ja wirklich schon vor dem Anpfiff keiner der 37.000 Zuschauer so recht daran glauben, dass mehr drin war für den deutschen Doublesieger, dass sich Werder nun, nach zuletzt durchwachsenen Bundesliga- und Pokalpartien, in seinem vorerst letzten Champions-League-Heimspiel, würde ins Achtelfinale schießen können. Kann denn heutzutage, wer gegen Bielefeld verliert, trotzdem noch Inter Mailand schlagen? Gehört so jemand denn überhaupt in die höchste aller Fußball-Klassen?

Immerhin: Man ist noch nicht ausgeschieden, den Uefa-Pokal hat man mindestens erreicht, und man hat sogar noch „alles selbst in der Hand“, wie Trainer Thomas Schaaf am Ende der Partie verkündete: „Alles ist noch so wie vor dem Spiel.“ Schließlich bleibt Werder mit zehn Punkten Tabellenzweiter, drei Punkte vor dem nächsten Gegner, dem FC Valencia, der Anderlecht erwartungsgemäß schlug. Und immerhin: Mailand trat nicht als die Großmacht auf, die den schwächelnden deutschen Meister einfach hätte überrollen können.

Das mag daran gelegen haben, dass die Mannschaft anstelle einer Trainingseinheit durch die City gebummelt war und Elektronik-Spielzeug erworben hatte. Oder daran, dass man mit den Gedanken bereits beim nächsten Samstagsspiel gegen Juventus Turin war. Oder auch nur daran, dass Top-Scorer Adriano fehlte. Der Brasilianer hatte sich bei der Partie gegen Valencia in Mailand durch ein Frustfoul nach 90 Minuten hemmungs- und wirkungslosen Anrennens zwei Spiele Sperre eingehandelt. Ohne ihn verpufften die seltenen Mailänder Angriffe vor dem Tor von Andreas Reinke: Christian Vieri wirkte wie ein müder Altstar, Bremen eroberte sich Räume, spielte druckvoll, und das Dreieck Johan Micoud, Miroslav Klose und Ivan Klasnic durchbrach in der ersten Halbzeit mehr als einmal die gut gestaffelte Mailänder Defensive. Zählbares sprang jedoch nicht heraus, abgesehen von etlichen Eckbällen, von denen nicht einer Gefahr für das Tor von Toldo brachte, und einigen Freistößen. Mit denen aber stellten die Bremer nur ihre chronische Schwäche bei Standards unter Beweis. Beim zweiten Spiel der Bundesliga, gegen Hansa Rostock, irgendwann im August, da soll es ihnen zuletzt gelungen sein, einen Freistoß zu verwandeln. Lang, lang ist’s her.

Werder mühte sich – und Mailand tat nur das Nötigste. Man wollte nicht verlieren, also folgte auf den Bremer Führungstreffer eine fünfminütige Drangphase, gekrönt durch Martins Treffer. Niederlage verhindert, Mission erfüllt, Rückzug. Größere Ziele schien Coach Roberto Mancini der Mannschaft nicht gesetzt zu haben. Zufrieden lächelnd nahm der graumelierte Beau anschließend verfrühte Glückwünsche zum 40. Geburtstag am Sonntag entgegen, und nicht minder charmant bezeichnete er das Resultat knapp als „giusto“, als gerecht, „obwohl der Elfmeter zum 1:0 eine Erfindung war“. Und erklärte jedem, der’s wissen wollte, dass es ihm völlig egal sei, ob er auf Bremen oder Valencia im Finale treffe. Thomas Schaaf fragt man so etwas nicht. Der Bremer Trainer soll der Presse vielmehr den Grund nennen, warum es wieder nicht zum Sieg gereicht hat. Seine Antwort: „In erster Linie, weil wir ein Gegentor kassiert haben.“ Ist halt ein Realist.

BENNO SCHIRRMEISTER