: Dr. No und der Frieden
AUS BELFAST RALF SOTSCHECK
Man möchte ihm am liebsten über die Straße helfen, so klapprig kommt er einem vor. Der Eindruck täuscht. Ian Paisley geht nach seiner Krankheit im vergangenen Sommer zwar etwas gebückt und ist recht abgemagert, aber er ist der mächtigste Politiker Nordirlands. Wenn er nicht will, dass die Mehrparteienregierung mit Beteiligung der IRA-Partei Sinn Féin wieder eingesetzt wird, dann wird es diese Regierung nicht geben. Und der 78-Jährige wollte das bisher nicht. Im Grunde wollte er noch nie irgendwelche Veränderungen in Nordirland, was ihm den Spitznamen „Dr. No“ einbrachte. Am liebsten wäre ihm „ein protestantischer Staat für ein protestantisches Volk“, wie es früher war, als die Katholiken nichts zu sagen hatten und bei Kommunalwahlen nicht mitwählen durften.
Das ist noch gar nicht so lange her, keine 35 Jahre, aber diese Zeit ist unwiederbringlich vorbei. Das weiß auch Paisley, deshalb war er vorgestern in London, um in den Gesprächen mit dem britischen Premierminister Tony Blair und dessen irischen Amtskollegen Bertie Ahern das für ihn Bestmögliche herauszuholen. Auch die Vertreter der anderen Parteien, die an einer Mehrparteienregierung teilnehmen dürfen, wenn sie denn wieder eingesetzt wird, nahmen an den Verhandlungen teil, aber Paisley redet nicht mit Sinn-Féin-Politikern. Er hält sich nicht mal im selben Raum wie sie auf. Das sind schwierige Voraussetzungen für eine gemeinsame Regierung.
Paisley verlangt die vollständige Abrüstung der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), deren Waffen seit nunmehr zehn Jahren ruhen. Wenn die IRA „nichts weiter als ein Veteranenverein alter Männer“ sei, könne man über eine Regierung mit Sinn-Féin-Beteiligung reden, sagte Paisley, doch vorher nicht. Möglicherweise ist dieser Tag gar nicht so fern. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams sagte im August, er könne sich vorstellen, dass die IRA ihr Waffenarsenal verschrotte und sich auflöse. Das ist mit Sicherheit ein zentraler Punkt in dem Vorschlag, den Blair und Ahern den Parteien vorgestern unterbreitet haben, über die Einzelheiten bewahren sie jedoch Stillschweigen. Aber sie wollen von den Parteien eine Antwort haben, am liebsten heute noch, spätestens Anfang nächster Woche.
So warten alle gespannt, ob Paisley diesmal endlich Ja sagt. Vor zwei Jahren sind Nordirlands Parlament und Mehrparteienregierung aufgelöst worden, weil die Unionisten, die die Union mit Großbritannien beibehalten wollen, dem Waffenstillstand der IRA misstrauten. Im vorigen Jahr scheiterte der bisher letzte Versuch, die nordirischen Institutionen wieder in Gang zu setzen, obwohl die IRA weiter abrüstete.
Inzwischen ist die Situation nicht einfacher geworden, denn vor fast genau einem Jahr haben sich die Machtverhältnisse bei den nordirischen Wahlen sowohl auf protestantischer als auch auf katholischer Seite verschoben: Die etwas gemäßigtere Ulster Unionist Party und die katholischen Sozialdemokraten, deren beide Parteiführer sich vor ein paar Jahren den Friedensnobelpreis teilten, haben stark an Bedeutung verloren. Stattdessen sind Sinn Féin und Paisleys Democratic Unionist Party (DUP) die stärksten Parteien.
Die DUP hatte im Wahlkampf versprochen, das verhasste Belfaster Friedensabkommen zu Fall zu bringen. Dieses Abkommen, das von den meisten nordirischen Parteien sowie den Regierungen in London und Dublin am Karfreitag 1998 unterzeichnet wurde, regelt die Modalitäten für eine gemeinsame Regierung der katholischen und protestantischen Parteien. Die Details blieben jedoch verschwommen, und so streiten die Beteiligten seither um die Auslegung, vor allem bei der Frage der Abrüstung.
Viele in Nordirland glauben, dass der Friedensprozess auf Eis liegt, solange Paisley am Leben ist. Sein Vize Peter Robinson und andere hochrangige DUP-Politiker scheinen pragmatischer und sitzen bei Fernsehinterviews schon mal mit Sinn-Féin-Vertretern an einem Tisch. Paisley behauptet, das liege daran, dass die Fernsehanstalten sich weigerten, den DUP-Politikern bei solchen Interviews ein eigenes Fernsehstudio zur Verfügung zu stellen. Keiner seiner Parteikollegen rede mit Leuten, die Blut an den Händen haben.
Dabei liest sich Paisleys Biografie auch nicht gerade wie das Leben eines Heiligen. Der streitbare Pfarrer kam 1926 in der nordirischen Kleinstadt Ballymena als Sohn eines Baptistenpredigers auf die Welt. Im Alter von sechs Jahren wurde er wiedergeboren, behauptet er. Protestantische Fundamentalisten glauben, die Wiedergeburt sei die Voraussetzung für die Rettung der Seele. Katholiken sind in ihren Augen verdammt, weil sie nicht daran glauben.
„Die Familie, die zusammen betet, wird zusammenbleiben“, ist Paisleys Motto. Er ist seit 55 Jahren mit Eileen verheiratet. Er nennt sie „Mami“ und sagt, sie sei der Boss: „Sie ist die Einzige, die mit mir meckern darf.“ Die beiden haben fünf Kinder, doch nur der älteste Sohn, Ian Paisley junior, ist in die Politik gegangen – natürlich als Mitglied der DUP.
1951 hatte Vater Paisley seine eigene Freie Presbyterianische Kirche gegründet, um den protestantischen Glauben zu bewahren. 20 Jahre später gründete er seine eigene Partei, die DUP, um die Union mit Großbritannien zu bewahren. Damals, 1971, war der gewaltsame Konflikt in Nordirland längst wieder aufgeflammt, die Protestanten sahen ihre Privilegien gefährdet. Paisleys Reden heizten den Konflikt weiter an, und man munkelt, dass er es nicht bei Reden bewenden ließ. Nachweisen konnte man ihm das freilich nicht, er saß lediglich wegen Aufruhrs ein paar Tage im Gefängnis.
1981 rief er eine paramilitärische „Third Force“ ins Leben, die den Sicherheitskräften im Kampf gegen die IRA zur Hand gehen sollten. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, keine Zugeständnisse an die hungerstreikenden IRA-Gefangenen zu machen, zog er im selben Jahr mit 500 Anhängern auf einen Berg vor den Toren Belfasts. Sie schwenkten zwar keine Waffen, aber ihre Waffenscheine.
Außerhalb Irlands hält man Paisley für einen fanatischen Spinner, seit er 1998 im Europa-Parlament die Rede des Papstes unterbrach und ihn als Antichristen beschimpfte. Aber zu Hause in Ballymena nennen sie ihn respektvoll „The Big Man“ und wählen ihn regelmäßig mit Rekordstimmenzahl in die Parlamente in Straßburg, London und Belfast. Aus dem Europaparlament hat er sich inzwischen zurückgezogen. Paisley war der erste Abgeordnete, der im Straßburger Parlament sprach: Er beschwerte sich, dass der britische Union Jack falsch herum aufgehängt worden war, was nur Experten merken, weil er fast symmetrisch ist.
An seinen freien Tagen predigt Paisley in seiner Martyr’s Memorial Church im Osten Belfasts. Fast 1.500 Menschen passen in das Gotteshaus, aber es ist nur noch selten so voll wie früher. Zwei schwedische Touristen sind vor ein paar Jahren an einem Sonntag aus Neugier in die Kirche gegangen, um Paisley predigen zu hören. Der Pfarrer kennt seine Gemeinde und entdeckte die beiden fremden Gesichter sofort. Er rief die Schweden nach vorne zur Kanzel und fragte sie mit donnernder Stimme: „Glaubt ihr an Gott?“ Die beiden nickten aus lauter Angst. Paisley wandte sich daraufhin triumphierend an die Kirchgänger und rief: „Habt ihr gehört? Sie glauben an Gott!“ Die Gemeinde applaudierte.
Den beiden Schweden stand nach dem Gottesdienst der Sinn nach einem Beruhigungsschnaps, doch sie wagten sich nicht in die gegenüberliegende Kneipe, denn Paisley hält Alkohol am Tag des Herrn für ein Sakrileg. Als den nordirischen Kneipen Ende der Siebzigerjahre gestattet wurde, sonntags zu öffnen, stand der Pfarrer lange Zeit jeden Sonntag mit einem Plakat vor einem Pub und prophezeite den Gästen Höllenqualen. Genauso dogmatisch ist Paisley in der Politik, daran hat auch seine Krankheit im Sommer nichts geändert. Was ihm fehlte, ist ein Geheimnis. Bekannt wurde lediglich, dass die Ärzte ihm im September verboten haben, zu den nordirischen Gipfelgesprächen nach England zu fliegen. Er nahm stattdessen die Fähre und den Zug. So konnte er wenigstens ein paar seiner 21.000 Bücher lesen, sagte er. Im Übrigen sei er kerngesund. Gerüchte über seine Krankheit seien von „Romanisten“ ausgestreut worden.
Wenn er mit diesen „Romanisten“ keine Regierung eingehen wolle, so müssen London und Dublin gemeinsam die Regierungsverantwortung in Nordirland übernehmen, sagte Gerry Adams. Schließlich sei die irische Regierung im Belfaster Abkommen ein gleichberechtigter Partner. Doch die ist mit ihrer Geduld fast am Ende. „Zwei Jahre nach dem Zusammenbruch der nordirischen Institutionen, ein Jahr nach den Wahlen und nach drei vernünftigen Versuchen, eine Lösung zu finden, muss man die Sache so oder so beenden“, sagte Bertie Ahern. „Und das werden wir innerhalb der nächsten Tage tun.“ Gestern beantworteten die beiden Regierungen die Fragen von Sinn Féin und DUP, die sie am Mittwoch zum Lösungsvorschlag gestellt hatten. Jetzt ist es an Paisley, darüber zu entscheiden.
Optimisten hoffen, dass er aufgrund seines Alters milder geworden sei und vor seinem Tod vielleicht doch nordirischer Premierminister werden möchte, was ihm als Chef der stärksten Partei Nordirlands zustünde. Ian Paisley junior dämpft diese Hoffnungen. „Er will auf keinen Fall, dass sein Vermächtnis ein schlechtes Abkommen ist“, sagte er. „Er will keine Schlichtung mit Sinn Féin, er will einen Sieg für den Frieden.“
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