Bettelstudent sucht Sugardaddy

Bildung ist niemals billig zu haben. Doch: Wer Wachstum will, muss ins „Humankapital“ investieren. Die Ausgaben dafür ließen sich durch eine Akademikerabgabe finanzieren

Sollten 100 Euro im Monat für Manager, Oberärzte, leitende Beamte oder Professoren unzumutbar sein?

Neben vielen anderen fantasievollen Aktionen haben die streikenden Berliner Studierenden am letzten Freitag auch die wohlhabenden Villenbewohner im feinen Grunewaldviertel besucht. Mit der Bettelbüchse in der Hand baten sie um eine kleine Gabe für ihre Not leidenden Hochschulen. Diese symbolische Aktion ist hoch willkommen, denn sie erinnert an die mangelnde Verantwortung der gut verdienenden Altvordern für die nächste Generation.

Dass die Ausbildungssituation an den Universitäten derzeit miserabel ist, bestreitet niemand. Gerade erst hat das Statistische Bundesamt mitgeteilt: Zum ersten Mal sind in Deutschland mehr als zwei Millionen Studierende eingeschrieben. Es gibt aber nur für weniger als die Hälfte reguläre, also ausfinanzierte Studienplätze. Ach, wären die Studierenden der Bundesregierung doch so wichtig wie die Hühner! Dann würde vielleicht auch für die Hochschulen eine Käfighaltungsvorschrift erlassen, auf dass sich die zukünftigen Wissensspezialisten nicht mehr so drängeln müssten.

Aber Regierungen in Bund und Land setzen nur auf Sparsamkeit. Diese gegenwärtig gebetsmühlenhaft vorgetragene Allzwecklösung kennt nur eine Form staatlichen ökonomischen Handelns: den Konsum. Doch nicht jeder Euro, der jetzt ausgegeben wird, ist gleich von Übel. Investitionen, also auf Zukunft gerichtete ökonomische Handlungen, verlangen Ausgaben heute, um Erträge morgen zu realisieren. Dies gilt auch für öffentliche Investitionen in die Bildung. Die empirische Wirtschaftsforschung belegt sogar, dass Ausgaben zur Steigerung des Humankapitals zu den stärksten Wachstumsfaktoren überhaupt zählen.

In Staaten der Ersten Welt gilt das besonders für den Bereich der höheren Bildung. Bei über 4 Millionen Arbeitslosen können wir uns De-Investitionen – nichts anderes sind die Sparbeschlüsse – im Bereich der Hochschulbildung gar nicht leisten. Schließlich schreibt die OECD in ihrem neuesten Bericht den zusätzlich ausgebildeten „Wissensarbeitern“ rund ein Drittel des Nettozuwachses an Beschäftigung in den letzten Jahren zu. So weit die erfreulichen Aussichten für die Zukunft.

Die deutsche Gegenwart sieht dagegen herbstlich düster aus. Denn dieser mächtige potenzielle Wachstumsimpuls ist vonseiten der Politik seit langem abgeblockt worden. Während im Durchschnitt der OECD-Länder rund 30 Prozent eines Altersjahrgangs einen Hochschulabschluss erwerben, sind es in Deutschland nur knapp 20 Prozent. Der Beschluss der SPD auf ihrem Bundesparteitag, dass man doch auch so eine schöne Akademikerquote wie die anderen westlichen Länder haben möchte, bleibt leeres Versprechen, weil es keine Idee gibt, wie das zu finanzieren ist.

Bildung ist niemals billig zu haben. Zwar träumt mancher Politiker öffentlichkeitswirksam vom Mithalten deutscher Hochschulen mit Harvard und Princeton. Bleibt es beim gegenwärtigen Kurs, stellen aber Bukarest und Sofia die angemessenere Messlatte dar. Denn die Länder der OECD investieren im Mittel 1,7 Prozent ihres Sozialproduktes in die Hochschulen, die USA sogar erheblich mehr. Deutschland dagegen begnügt sich mit einem mageren Prozent und gibt damit sogar relativ weniger aus als in den 70er-Jahren. Anders ausgedrückt: Die Finanzierungslücke für das hiesige Hochschulsystem zum Durchschnitt der OECD beläuft sich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag jährlich.

Angesichts dieses gewaltigen Defizits und der auf Dauer verweigerten Zahlungsbereitschaft des Großinvestors Staat sind alternative Investoren dringend gesucht. Warum verpflichtet man nicht diejenigen, die das Hochschulsystem erfolgreich durchlaufen haben, zu Zahlungen? Auch wenn es der aktuellen Diskussion um Steuererleichterungen zuwiderläuft: Aus ökonomischer Sicht ist eine zweckgebundene Akademikersteuer, oder genauer: Akademikerabgabe eine erwägenswerte Option. Denn werden die Aufwendungen von Studierten mit alternativen Investitionen verglichen, realisieren in praktisch allen westlichen Ländern Absolventen von Hochschulen eine weit über einer alternativen Geldanlage liegende Bildungsrendite. Allerdings: Bildungsrenditen sind Durchschnittswerte. Es gibt auch schlecht verdienende oder arbeitslose Akademiker. Deshalb sollte eine Akademikersteuer nicht einheitlich, sondern progressiv sein und großzügige Freibeträge enthalten.

Aktuell haben wir in Deutschland 5,2 Millionen Erwerbstätige mit FH- oder Universitätsabschluss. Will man von diesen beispielsweise 3 Milliarden Euro Soforthilfe für die Hochschulen generieren, bedeutet das eine monatliche Belastung von ganzen 48 Euro pro arbeitendem Akademiker. Das dürfte als eine überaus erträgliche und überschaubare Summe gelten. Und auch wenn bei einem sehr guten Freibetrag die Hälfte davon gar nichts zahlen müsste und die anderen damit das Doppelte: Sollten hundert Euro für Manager, leitende Beamte, Oberärzte, Professoren und MdBs tatsächlich schon als unzumutbar gelten?

Im Unterschied zu Studiengebühren entfaltet eine an das spätere Einkommen gekoppelte Steuer keinerlei negative Signalwirkung an diejenigen, die bereit sind, ein Studium aufzunehmen. Sie wäre sozial gerecht, weil nur diejenigen, die eine hohe Bildungsrendite aufgrund einer Hochschulbildung beziehen, zu deren Finanzierung herangezogen werden. Sie ist auch nicht einfach eine – politisch sicher umstrittene – Wiederanhebung der Steuerprogression. Denn selbst unter den Besserverdienenden stellen Hochschulabsolventen nicht die Mehrheit. Der Handwerksmeister mit eigenem Betrieb etwa wäre gar nicht davon betroffen. Anders als beim Eintreiben von Studiengebühren würde eine Akademikersteuer auch keinen bedeutenden bürokratischen Zusatzaufwand erforderlich machen, eine Einkommensteuererklärung müssen schließlich alle machen. Und im Unterschied zu einer ebenfalls diskutierten Anhebung der Erbschaftsteuer gibt es hier keine um die Erträge konkurrierenden anderen Politikfelder.

Wären die Studierenden der Bundesregierung so wichtig wie die Hühner, müssten sie sich nicht mehr so drängeln

Ein Einwand könnte sein, dass das Aufkommen vielleicht gar nicht den Hochschulen zufließen würde. Das Beispiel der milliardenschweren Förderung von Ganztagsschulen seitens des Bundes lehrt aber: Geld wird immer gerne genommen, auch wenn mit Auflagen verbunden. Denn da die Abgabe bundesweit erhoben und dann auf die Länder umverteilt werden würde, lassen sich Regeln finden, die es sehr unwahrscheinlich werden lassen, dass Landesparlamente damit Missbrauch treiben. Eine einfache und transparente Regel könnte etwa sein: Der Ertrag wird zu einem Teil nach der Zahl der Studierenden ausbezahlt, der Rest nach der Zunahme der Studierendenzahl. Das Erste belohnt den bisherigen Leistungsumfang bei der Hochschulfinanzierung (und verhindert dessen Zurücknahme), das andere prämiert Zusatzanstrengungen.

Eine Akademikerabgabe ist praktibel und allemal besser, als für Bildung zu betteln.

G. GRÖZINGER, W. MATIASKE