Das Kaninchen und die Schlange

Auf ein Scheitern der Hamburger Rechtskoalition folgen Neuwahlen. Dabei könnte die CDU rund 40 Prozent holen. Dennoch könnte es zu einer Neuauflage von Rot-Grün kommen

Der künftige Bürgermeister der Hansestadt könnte von der SPD kommen und Thomas Mirow heißen

HAMBURG taz ■ Ole von Beust tut so, als ob er das Heft des Handelns in der Hand hätte. Zwei Bedingungen stellte der CDU-Bürgermeister der Hamburger Rechtskoalition gestern an den Fortbestand seines Regierungsbündnisses: Eine „faire, sachliche Zusammenarbeit“ sowie eine „stabile und verlässliche parlamentarische Mehrheit“ in der Bürgerschaft müssten gewährleistet sein. Andernfalls müssten die Bürger über das Schicksal des Senats befinden.

Doch von Beust hat das Heft nicht in der Hand. Faktisch diktiert Exinnensenator Ronald Schill die Bedingungen, von Harmonie und Geschlossenheit ist die Dreierkoalition aus CDU, Schill-Partei und FDP seit der unehrenhaften Entlassung des gnadenlosen Richters im August weit entfernt, und das Ergebnis von Neuwahlen wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit die Neuauflage einer rot-grünen Regierung im Stadtstaat an der Elbe.

Spätestens Mitte nächster Woche dürfte das sich abzeichnende Ende der seit 31. Oktober 2001 regierenden Hamburger Rechtskoalition besiegelt werden. Dann stehen die dreitägigen Parlamentsberatungen über den Haushalt für das kommende Jahr auf der Tagesordnung der 121-köpfigen Bürgerschaft. Wenn der Etat keine Mehrheit findet, wird vermutlich Ende Februar 2004 erneut gewählt werden müssen. Entweder würde der Senat nach einer Abstimmungsniederlage seinen Rücktritt erklären oder – wahrscheinlicher – von Beust die Vertrauensfrage stellen. Mit offiziell noch 64 Mandaten liegt das Rechtsbündnis nur drei Stimmen über der absoluten Mehrheit, SPD und GAL verfügen über 57 oppositionelle Mandate. Schill und drei weitere Neinsager reichen, um das Bündnis platzen zu lassen.

Damit stellen sie allerdings auch ihre eigene parlamentarische Existenz aufs Spiel. Mehrere repräsentative Meinungsumfragen der vergangenen drei Monate haben ein sich verfestigendes Bild gezeichnet. Eine CDU mit Ole von Beust, sofern er wieder als Spitzenkandidat antreten würde, kann mit bis zu 40 Prozent (2001: 26,5 Prozent) stärkste Fraktion werden – und müsste sich damit bescheiden, den Parlamentspräsidenten zu stellen. Bürgermeister aber würde SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow, dessen Partei mit 36 bis 38 Prozent konstant leicht über ihrem Ergebnis von 2001 pendelt. Die Grünen, auf 8,6 Prozent bitter abgestürzt, würden sich in den zuvor jahrelang gewohnten Höhen von 13 bis 15 Prozent wiederfinden: Eine absolute Mehrheit für Rot-Grün scheint erreichbar.

Verabschieden ins parlamentarische Abseits müsste sich hingegen der kleinste Koalitionspartner FDP, dem eine Halbierung der jetzigen 5,1 Prozent droht. Und das Schicksal der Schill-Partei, der zurzeit nur noch ein gutes Viertel ihrer 19,4 Prozent attestiert wird, ist vollends ungewiss. Im Falle einer Spaltung ist nur eine weitere Konsequenz vorhersehbar: Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, wie sie offiziell heißt, müsste ihren Kurztitel „Schill-Partei“ sicherlich den Abtrünnigen um ihren einstigen Namensgeber überlassen.

Ole von Beust und sein Fraktionschef Michael Freytag pfiffen denn auch gestern mit gespielter Munterkeit im Walde. Von den noch 25 Schill-Abgeordneten forderten sie vor deren Sitzung ein „klares Bekenntnis“ zur Fortsetzung der Koalition, Schill-Fraktionsvorsitzender Norbert Frühauf behauptete unverdrossen, „höchstens ein, zwei Abgeordnete“ würden dem Rechtspopulisten folgen, wenn dieser die Fraktion verließe. An „mindestens sieben“ glaubt hingegen der Abgeordnete Bodo Adolphi, seit je einer der treuesten Schill-Gefolgsleute.

Wie viele es tatsächlich sein werden nach Beendigung der Fraktionssitzung am Abend, war denn auch den ganzen Tag über die einzige Frage, die im Hamburger Rathaus noch interessierte: „Wir sitzen hier“, sagte ein Beust-Vertrauter, „wie das Kaninchen vor der Schlange.“

SVEN-MICHAEL VEIT