piwik no script img

Archiv-Artikel

Vanilla Sky

Trotz durchwachsener Stimmung auf dem Gesamtbuchmarkt meldet der Hörbuchmarkt regelmäßig Umsatzzuwächse. Prominente, aber ungeeignete Vorleser, ausladende Formate und die fortschreitende Digitalisierung lassen den Hörbuchmarkt aber schon jetzt an seine Grenzen stoßen. Ein Überblick

Ein schlechter Vorleser macht den besten Krimi zu einer öden AngelegenheitRaubkopien und MP-3-Player beeinflussen in Zukunft auch den Hörbuchmarkt

VON GERRIT BARTELS

In den letzten Jahren war in der Buchbranche viel von Krise die Rede. Denn nach jahrzehntelangen guten Geschäften beklagen Buchhändler und Verlage seit Beginn der Nullerjahre regelmäßig sinkende Umsätze. Gingen diese 2002 um 2 Prozent zurück, so gab es 2003 zwar nur einen Rückgang von 1,7 Prozent auf ein Gesamtvolumen von 9,07 Milliarden Euro (2000 waren es 9,4 Milliarden), doch selbst Berufsoptimisten wie Börsenvereinsvorsteher Dieter Schormann mochten darin keine Erholung sehen.

Ein Teilbereich des Buchmarktes aber findet sich in erstaunlich gegenläufiger Entwicklung auf immer wieder neuen Höhen wieder: der Hörbuchmarkt. Seit Ende der Neunzigerjahre meldet er jedes Jahr aufs Neue zweistellige Umsatzzuwächse. Allerdings ist dieser Markt ein vergleichsweise kleiner: Schätzungen zufolge wurden hier 2002 35 bis 45 Millionen Euro umgesetzt, und erwartet werden für die nahe Zukunft 60 Millionen Euro – was einem Anteil von 0,6 Prozent am Gesamtbuchmarkt entspricht.

Nun lag es für die etablierten Verlage auf der Hand, eigene Hörbuchabteilungen oder neue Verlage zu gründen, von wegen multimedialer Synergieeffekte, von wegen Cross-Promotion. So wie etwa Kiepenheuer & Witsch, Suhrkamp und Carl Hanser, die 1993 den HörVerlag (DHV) aus der Taufe hoben, inzwischen ein Riese unter den Hörbuchverlagen. Oder wie der Aufbau Verlag, der 1998 mit dem SWR und dem WDR den Deutschen Audio Verlag (DAV) gründete (und neuerdings den Spiegel als Gesellschafter mit im Boot hat). Doch finden sich unter den den Hörbuchmarkt bedienenden 400 Verlagen und Labels inzwischen gut 250 reine Hörbuchverlage – gegründet oft in der Absicht, mit dem Hörbuch eine eigenständige Kunstform auszubilden, und auch aus pekuniären Gründen: Das Hörbuch scheint nicht mehr nur etwas für die ganz Lesefaulen zu sein, nicht mehr allein die viel zitierten Handlungsreisenden und Hausfrauen anzusprechen. Fast vier Millionen Bundesbürger aus allen Altersgruppen und Bevölkerungsschichten haben laut einer Allensbach-Studie zuletzt ein oder mehrere Hörbücher gekauft. Darunter sind zum einen die Frauen wieder einmal leicht in der Überzahl. Zum anderen finden sich die eifrigsten Hörbuchkäufer in der Gruppe der 30- bis 49-Jährigen.

Nur Spekulationen gibt es bislang darüber, wie sich passionierte Bücherleser zu Hörbüchern und umgekehrt verhalten. Es soll Hörbuchfans geben, die noch nie ein Buch angerührt haben; es gibt wohl einige, die beiden Medien grundsätzlich aufgeschlossen sind; und es gibt die eingeschworenen Bibliophilen, die schon allein deshalb keine Hörbücher hören, da sie ihrer Lesegeschwindigkeit nicht entsprechen. Letztere fragen sich im Übrigen, ob Autofahren und Abwaschen nicht genauso viel Konzentration abverlangen wie zur Kontemplation einladen, als dass man da noch einem Hörbuch folgen könnte. Denen ist es auch egal, wenn jemand wie Roger Willemsen den Reiz von Hörbüchern „in dem imaginativen Raum“ ausgemacht hat, „den man durch Klänge und Sprache beschreitet“. Beides kann die Imagination ja auch stören.

Wie dem auch sei: Inzwischen haben sich 8.000 Titel angesammelt, zu denen jedes Jahr 700 bis 800 unterschiedlichster Couleur dazukommen, seien es Krimis, Klassiker, Sachbücher oder aktuelle belletristische Titel. Zudem ist das Hörbuch mitnichten nur das billig produzierte, karge, schlicht vorgelesene Buch. Darunter fallen auch die traditionellen, fürs Radio produzierten Hörspiele oder die zwar auf einer Vorlage basierenden, aber aufwendig mit Musik und akustischen Know-how neu arrangierten und eingelesenen Hörstücke.

Die Qualität eines guten Hörbuchs besteht natürlich in der Stärke des Vortrags, bei Hörspielen in der Sorgfalt und dem Timing des Arrangements; darin, wie die vielfältigen Facetten einer Geschichte wiedergegeben, die Dialoge und Perspektivwechsel nuanciert herausgearbeitet werden; darin, wie die Vorleser die richtige Geschwindigkeit treffen, wie sie dem Rhythmus der Sätze und den Tönen und Klangfarben eines Buches erfolgreich nachspüren. Ein schlechter Vorleser, so viel steht fest, kann den großartigsten Roman oder spannendsten Krimi zu einer öden Angelegenheit machen.

Genau das passiert im Zuge des Hörbuchbooms jedoch immer öfter: Prominente oder Semiprominente werden ungeachtet ihrer Tauglichkeit und nur der verkaufsfördernden Effekte halber gebeten, Hörbücher einzulesen. Nichts Gutes ahnt man, wenn demnächst Sabrina Setlur mit ihrer Lesung von Franz Kafkas „Verwandlung“ auf den Markt kommt. Und es passt zwar, wenn die „Tatort“-Kommissarin Ulrike Folkerts sich eines Krimis von Patricia Cornwall annimmt – nur besonders gut vorlesen kann Folkerts eben nicht. Jenseits des Promifaktors wiederum kann selbst ein Österreicher eher eine Fehlbesetzung sein, der einen weitgehend in Berlin verfassten, kühl-sachlichen Roman wie Musils „Mann ohne Eigenschaften“ vorliest. Problematisch ist erstaunlicherweise auch das Hörbuch „Neue Vahr Süd“, das von Sven Regener selbst vorgelesen viel spröder ist als eine Regener-Lesung vor Publikum.

Durchaus sinnvoll ist es deshalb, dass Hörfunksender und andere Institutionen Bestenlisten erstellen und Hörbuchpreise ausloben. Seit 2001 wird der „Hörkules“ verliehen, der Publikumspreis der Branche (Sieger 2004: Hermann Hesses „Steppenwolf“, ein vom Hessischen Rundfunk und Radio Bremen neu produziertes Hörspiel); und seit 2003 der vom WDR ins Leben gerufene Deutsche Hörspielpreis in fünf Kategorien: Hörbuch, Information, Innovation, Unterhaltung und Interpretation (Bestes Hörbuch 2004: Harry Rowohlt liest Flann O’Briens „Auf Schwimmen – zwei Vögel“).

Solcherart gut aufgestellt, hat der Hörbuchmarkt trotzdem seine Wachstumsgrenzen. So gilt für ihn zwar die Buchpreisbindung nicht, doch wollen etwa fünf CDs, auf denen Antal Szerbs schöner Roman „Reise im Mondlicht“ vorgetragen wird, zum einen gehört, zum anderen bezahlt werden: 29,90 Euro stehen da den 14 Euro für das Buch gegenüber. Und so beanspruchen etwa die zweimal 38 CDs von Fontanes gesammelten Romanen auch ihren Platz im Regal. Da lockt die MP-3-Datei (und wird zunehmend genutzt), da stellt sich aber sofort die Frage nach der Entwicklung auf dem Tonträgermarkt, Stichwort Raubkopien, Stichwort MP-3-Player.

Von neuen Absatzwegen träumt man auch in der Hörbuchbranche. Doch was Abrechnungsmodi und den Schutz vor Raubkopien anbetrifft, steckt sie noch in den Kinderschuhen. Vertraut wird auf Booklets, auf Zusatzinformationen und auf die Tatsache, dass das Gros der Hörbuchfans nicht wild im Netz herunterlädt und seinen I-Pod füllt, sondern lieber am Freitagnachmittag in Buch- und Plattenläden seine Konsumlust befriedigt. Glaubt man jedoch den Schwarzsehern aus der benachbarten Musikindustrie, die die CD als moribunden Tonträger sehen, könnte hier durchaus ein Markt zusammenbrechen, bevor er überhaupt so richtig aus seiner Nische heraus- und von seinen 3.000er- bis 5.000er-Auflagen weggekommen ist.