: Passanten unter Verdacht
GEFAHRENGEBIETE Linkspartei startet Kampagne gegen die Polizeigesetze, nach denen jeder durchsucht werden kann, der sich in einem „Gefahrengebiet“ befindet
RECHTSAnwalt Dirk Audörsch
VON KAI VON APPEN
Katrin Peters* und Rolf Beil* ahnen nichts Böses, als beide entlang des Fleets durch Bergedorf schlendern. Plötzlich stellen sich den beiden Nettelnburgern zwei Polizisten entgegen und fordern sie auf, sich auszuweisen. Wenig später verlangt der eine, dass Katrin ihre Handtasche öffnet. Er kramt in intimen Utensilien herum. Als die beiden protestieren, drohen die Polizisten mit Ingewahrsamnahme, erteilen dann jedoch nur einen „Platzverweis“. „Beim nächsten mal gibt es ein Aufenthaltsverbot fürs ganze Jahr“, zischt einer der Uniformierten. So erzählen es Katrin Peters und Rolf Beil.
Seit Juni 2005 hat die Polizei nach den neuen Polizeigesetzen zur Sicherheit und Ordnung und dem Polizeigesetz zur Datenverarbeitung die Möglichkeit, aufgrund ihrer „Lageerkenntnisse“ Personen anzuhalten, ihre Identität festzustellen und „mitgeführte Sachen in Augenschein“ zu nehmen. „Normales Recht gibt es in Gefahrengebieten nicht mehr“, schimpft die Innenpolitikerin der Linkspartei, Christiane Schneider. „Die Polizei hat das Recht zu ihren eigenen Gunsten verschoben.“ Menschen, die sich in bestimmten Stadtteilen aufhielten, dort wohnten oder arbeiteten, würden unter einen Generalverdacht gestellt. Die Linkspartei hat darum eine Grundrechtskampagne gestartet, Motto: „Grundrechte verteidigen – Gefahrengebiete aufheben.“
38 Gebiete in Hamburg sind seit Inkrafttreten des neuen Polizeirechts schon als „Gefahrengebiete“ ausgewiesen worden, acht sind es derzeit. Dazu gehören neben der Region Bergedorf, Lurup, Osdorf, dem Schanzenviertel rund um die Rote Flora, dem Linkentreff „B5“ in der Brigittenstraße sowie St. Georg Teile des St. Pauli-Kiezes. „Das Gefahrengebiet Bergedorf ist zum 30. Mal verlängert worden“, berichtet Stephan Jersch, Fraktionschef der Linksfraktion in Bergedorf. Im Visier der Polizei sind besonders Jugendliche bis 25 Jahre. Bisher seien 6.993 Personen verdachtsunabhängig festgehalten und 872 Menschen durchsucht worden.
Krasser ist die Situation in St. Georg. Dort sind bis Ende März 22.412 Personen festgehalten worden, bei 29.840 Personen wurden die Personalien aufgenommen und drei Monate gespeichert. 38.587 Platzverweise und 53.181 Aufenthaltsverbote wurden ausgesprochen. „Der Polizeiliche Notstand wird zum Regelfall. Das ist aus juristischer Sicht schwer hinnehmbar“, sagt der Rechtsanwalt Dirk Audörsch, der die Linke berät. Momentan könne sich nur jeder für sich gegen die Maßnahmen wehren, indem er sich von den Polizisten einen „rechtsmittelfähigen Bescheid“ ausstellen lässt und dann vor dem Verwaltungsgericht klagt.
Sollten die Polizeigesetze in dieser Legislaturperiode novelliert werden, erwägt die Linke gegen das „Gefahrenabwehrrecht“ in den Polizeigesetzen eine Normenkontrollklage vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht einzureichen. „Verdachtsunabhängige Personenkontrollen“, so Schneider, „stellen einen gravierenden Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar.“
*Namen geändert