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Archiv-Artikel

Runder Tisch aus Warschau

Polens Präsident Kwaśniewski hat die verfeindeten Parteien in Kiew zu Gesprächen versammelt. Wie damals in Warschau 1989

Janukowitschmuss anerkennen,dass sein Wahlsiegüberprüft wird

VON GABRIELE LESSER

„Gespräche oder Panzer“ – für Polens Präsident Aleksander Kwaśniewski war völlig klar, mit welcher Mission er in die Ukraine fuhr. Nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen in dem Nachbarland konnte nur ein runder Tisch eine gewaltfreie Lösung bringen. Die Staatsmacht und die Opposition mussten miteinander reden – zunächst der abtretende ukrainische Präsident Leonid Kutschma und der durch gefälschte Wahlen um seinen Sieg gebrachte Präsidentschaftskandidat Wiktor Juschtschenko. Auch der offiziell zum Sieger erklärte Wiktor Janukowitsch könnte dazustoßen. Allerdings müsste dieser zunächst anerkennen, dass die Wahlen überprüft oder sogar wiederholt werden müssten.

Am späten Freitagvormittag war das Ziel erreicht: „In der Ukraine wird es einen runden Tisch geben“, verkündete der polnische Rundfunk. Neben Kwaśniewski haben Leonid Kutschma, Wiktor Juschtschenko und der EU-Außenbeauftragte Javier Solana gestern Abend an der ersten Runde teilgenommen.Und auch Janukowitsch war da.

Der runde Tisch ist das international anerkannte Modell Polens zur friedlichen Machtübergabe einer Staatspartei an eine frei gewählte Opposition. Kwaśniewski selbst hat 1989 am runden Tisch in Warschau teilgenommen. Damals saßen sich die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) und die Freiheits- und Gewerkschaftsbewegung Solidarność mit Lech Wałesa an der Spitze gegenüber. Im Herbst 1989 sollten in Polen Parlamentswahlen stattfinden. Doch es drohte wie in den Jahren zuvor ein massiver Wahlbetrug. Die Polen forderten freie Wahlen. Tatsächlich ließ sich die PVAP am runden Tisch zum ersten Mal seit Kriegsende auf halbdemokratische Wahlen ein.

Kwaśniewski saß damals auf der Seite der Staatsmacht. Er wusste, dass seine Partei die Macht abgeben und im demokratischen System Polens von vorne starten musste. Nach dem überwältigenden Wahlsieg der Solidarność versuchte er die PVAP in eine sozialdemokratische Partei zu verwandeln. 1995 gewann er schließlich die Präsidentschaftswahlen gegen Lech Wałesa.

Heute arbeiten Wałesa und Kwaśniewski wie einst am runden Tisch wieder zusammen. Am Donnerstag war Wałesa in Kiew und machte den Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz Mut. „Solidarni, solidarni“ schallte es ihm hunderttausendfach entgegen und „Wałesa! Wałesa!“

Dass Polen sich als erklärter Freund der Ukraine versteht, ist spätestens seit 1991 bekannt. Damals erkannte Polen als erster Staat der Welt die Unabhängigkeit der Ukraine an. Dies war für die junge Demokratie ein enormer Sprung über die Schatten der Vergangenheit. Die Westverschiebung Polens durch die Alliierten 1945 hatte nicht nur die Vertreibung der Deutschen zur Folge, auch knapp zwei Millionen Polen mussten ihre Heimat in den einst ostpolnischen und jetzt ukrainischen Gebieten verlassen.

Der Versöhnungsprozess zwischen den Nachbarn gestaltete sich ähnlich schwierig wie der zwischen Deutschland und Polen. Doch so wie Deutschland sich zum Anwalt Polens erklärte und das Nachbarland tatkräftig beim Beitritt zu Nato und EU unterstützte, so fühlt sich nun auch Polen in der Verantwortung. Zwar hat Polen als EU-Neumitglied nicht den politischen Einfluss wie Deutschland und auch nicht das Geld, um den Aufbau demokratischer Strukturen in der Ukraine voranzutreiben. Doch es hat den unbedingten Willen, dem Nachbarland den „Weg nach Europa“ zu ebnen.

So ist es auch kein Wunder, dass Bronislaw Geremek, der frühere Außenminister Polens und heutige Europaparlamentarier, offen den Beitritt der Ukraine zur Union fordert: „Es ist keine Frage, ob die Ukraine der EU beitreten sollte, die Frage lautet nur, wann dies passieren wird.“