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Archiv-Artikel

Trotz Privatisierung bleibt die Bahn Platzhirsch

Mit dem Newcomer Abellio sichert sich eine Tochter der Essener Verkehrsbetriebe den Zuschlag für die Ruhr-Lenne- und die Nokia-Bahn – vom öffentlich-rechtlichen VRR. Auf 90 Prozent der Strecken fährt aber weiter die Deutsche Bahn

GELSENKIRCHEN/ESSEN taz ■ Die Privatisierung ist eine Schnecke – auch bei der Bahn, auch im Nahverkehr. Zwar fährt auf den Regionalbahnstrecken RB 40 und 46 künftig nicht mehr die Deutsche Bahn, sondern die Essener Abellio AG. Der reinen Lehre der Marktwirtschaft entspricht die Entscheidung dennoch nicht: Als 85-prozentige Tochter der stadteigenen und damit öffentlich-rechtlichen Essener Verkehrs AG (EVAG) sei Abellio „Wunschkandidat“ für die Ruhr-Lenne- und die Nokia-Bahn gewesen, ist hinter vorgehaltener Hand selbst aus der Verbandsversammlung des ebenfalls öffentlich-rechtlichen Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) zu hören.

Wie die anderen kommunalen Verkehrsunternehmen an Rhein und Ruhr ist die EVAG privilegierter Partner des VRR, in dem sich 19 Städte und Kreise zusammengefunden haben. Im Auftrag des nordrhein-westfälischen Verkehrsministeriums vergibt der Zweckverband die in schönstem Beamtendeutsch „schienengebundener öffentlicher Personennahverkehr“ genannten S- und Regionalbahnen wie die Regionalexpress-Linien an die Deutsche Bahn (DB) und private Konkurrenten. Dabei scheinen sich aber weder die kommunalen Betreiber noch die DB fürchten zu müssen: Ein Großteil der Strecken bleibt vorerst in der Verantwortung des Staatsunternehmens. „Wir betreiben über 90 Prozent der Strecken, darunter alle S-Bahnen“, sagt DB-Sprecher Peter Grundmann – die beiden an Abellio abzutretenden Regionalbahnen seien daher „kein Verlust“.

Dafür muss Abellio scharf rechnen, um die Strecken Essen–Bochum–Hagen und Bochum–Wanne-Eickel–Gelsenkirchen wirtschaftlich betreiben zu können. Noch im Sommer habe seine Firma die VRR-Ausschreibung kritisiert, „weil wir Schwierigkeiten sahen, bei der Größe ein auskömmliches Angebot zu machen“, sagt Abellio-Geschäftsführer Wolfgang Meyer, bis Dezember 2003 Vorstand der EVAG. „Wir haben die Chance bekommen, Fahrzeuge für zwei Jahre anzumieten.“ Erst bei Folgeaufträgen werde über die Anschaffung eigener Fahrzeuge entschieden, sagt Meyer – während der Zuschlag für die nur 16 Kilometer lange Linie zwischen Bochum und Gelsenkirchen bis 2017 gilt, ist der Vertrag für die 45 Kilometer lange Ruhr-Lenne-Bahn zunächst bis 2007 befristet. „Die DB lässt die Fahrzeuge lieber herumstehen, statt sie auf dem Markt anzubieten“, klagt der Abellio-Geschäftsführer über die restriktive Geschäftspolitik des Staatsunternehmens.

Profitieren sollen die Fahrgäste dennoch: „Einen reinen Preiswettbewerb wird es mit uns nicht geben“, betont VRR-Vorstand Martin Husmann. Wie Abellio wirbt er besonders mit geschultem Personal, behindertenfreundlicher Einrichtung – und Videoüberwachung. Abellio-Geschäftsführer Meyer hofft auf lukrative Folgeaufträge, etwa im Teutoburger Land. „Wir wollen aus dem kommunalen Spektrum heraus Kooperationen schließen. Auch nach der Liberalisierung wollen wir zeigen, dass wir das können“, sagt er. Doch damit sich der Einsatz und Kauf von Personal und Material lohnt, müssen die DB-Konkurrenten wachsen. So gelten etwa die privaten Prignitzer Eisenbahnen als aussichtsreichster Kandidat für die Strecken Dortmund–Dorsten und Dorsten–Krefeld: Schon heute fahren die Prignitzer auf der Linie Duisburg–Dorsten.

ANDREAS WYPUTTA