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Archiv-Artikel

Die Funktionärin

„Das packst du schon“, hatte Frauenversteher Daniel Cohn-Bendit gesagt. Und war besonders nett zu Anna Berlit. Dabei war die Sprecherin des Allgemeinen Studenten-Ausschusses der Universität Hannover nach einer „hibbeligen Anfahrt“ auch ohne sein Lob ganz zufrieden mit ihrem Einsatz bei „Sabine Christiansen“. Obwohl ihr Christiansen gleich beim ersten Sprecheinsatz zum Thema „Bildung nur noch für Reiche?“ das Wort abschnitt.

Berlit hatte zwei Millionen Studenten zu vertreten – oder wenigstens jene tausende, die derzeit gegen Kürzungen der deutschen Hochschulen auf die Straße gehen. Bei ihrem Fernsehauftritt, den sie mit Polit- und PR-Profis wie Danny Cohn-Bendit oder Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit hinter sich brachte, merkte sie, dass auch Talk-Dauergäste irgendwie Menschen sind. Berlit, 25 Jahre, 11. Semester, 1,55 Meter klein: „Der Cohn-Bendit ist gar nicht so groß, wie ich dachte.“

Natürlich war es „schon seltsam“, die Ikone der einstigen Studentenrevolution persönlich zu treffen. In ihrem Geschichts- und Philosophiestudium hat sie sich bei Marx und den 68er-Aufständen umgetan. Im kommenden Jahr will sie ihre Magisterarbeit über die Lehrlingsunruhen in den 60ern schreiben.

Von 68 lernen heißt für die Berlit des Jahres 03 aber nicht nur siegen zu lernen. „Die haben es zwar geschafft, mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen“, sagt die Asta-Frau. Auf den Krawall von damals steht sie jedoch nicht. Berlit sieht sich als Pragmatikerin. Auch „wenn es immer wieder Beschlüsse gibt, die einem nicht passen“, ist sie seit einem Jahr Mitglied bei den Jusos. Vorher absolvierte sie ein Praktikum in der Niedersachsen-Kampa der SPD. „Du musst in eine Partei, wenn du etwas bewegen willst“, betont Berlit – und nicht unbedingt in den Straßenkampf wie damals der rote Danny.

Es geht ja auch anders. In der laufenden landesweiten „Aktionswoche“ halten brodelnde Chemiestudenten in der Fußgängerzone in Hannover Vorlesungen ab. In „autonomen Seminaren“ erklären Professoren, welchen ökonomischen Hintergrund die Kürzungsarien von Wissenschaftsminister Lutz Stratmann (CDU) haben. Berlit sagt über die Protestformen. „Zum Glück mussten wir hier nicht in die Leine springen, um zu zeigen, dass die Bildung baden geht.“

Das geht sie nach Meinung der Studenten in Niedersachsen sowieso. In zwei Jahren sollen die 19 Hochschulen im Land mit 50 Millionen Euro weniger auskommen. Die FHs in Nienburg und Buxtehude werden dichtgemacht, die Uni Hannover soll 6,7 Millionen Euro sparen, Romanistik und die traditionsreiche Sozialwissenschaft werden geschlossen.

In den Monaten nach der Bekanntgabe der Kürzungen hatte zunächst Protestvakuum geherrscht: Semesterferien. „Dann haben wir uns die Beine ausgerissen“, erzählt Berlit. Daran ist sie gewachsen. Nach einigen Interviews und Auftritten im Audimax packt es die Asta-Sprecherin inzwischen problemlos, Sätze zu sagen wie „Mit Studiengebühren klonen sich Deutschlands Bildungsetagen selbst“.

Im täglichen Zehnstundeneinsatz für den Asta kommen die eigenen Vorlesungen natürlich zu kurz. Auch muss die Asta-Funktionärin nebenbei noch als Telefonistin beim regionalen Glücksspiel „Bingo-Lotto“ jobben. Die Zukunft? Anna Berlit kann sich vorstellen, auch später einen PR-Job wie jetzt beim Asta zu machen. Und dann? „Ich habe nichts gegen Heiraten.“

KAI SCHÖNEBERG