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Archiv-Artikel

„Keine Konjunktur“

Ein Gespräch mit „Monitor“-Moderatorin und Überzeugungstäterin Sonia Mikich zum Tag der Menschenrechte: „Das schreckt die Zuschauer ab“

INTERVIEWCAROLINE SCHMIDT-GROSS

Seit knapp zwei Jahren leitet Sonia Mikich (52) das politische Magazin „Monitor“ beim WDR. Zuvor war sie jahrelang Auslandskorrespondentin der ARD in Moskau und Paris. In ihrem Büro hängt ein Foto hinter Glas. Vier kleine Kinder laufen auf einer staubigen Straße durch die Ruinen von Grosny. „Die zwei Mädchen davon sind quasi meine Patenkinder. Ich habe sie jahrelang betreut, Geld hingebracht und ihnen später geholfen, aus Tschetschenien herauszukommen.“

taz: Frau Mikich, die Erklärung der Menschenrechte umfasst 30 Artikel, trotzdem bleibt sie für viele abstrakt.

Sonia Mikich: Bei „Monitor“ zählen wir neben den klassischen Bürgerrechten auch das Recht auf soziale Entfaltung dazu. Das heißt, das Recht auf Arbeit und auf gesundheitliche Unversehrtheit. Die Menschenrechte müssen für alle gelten, nicht nur für das hinterste Dorf in Burkina Faso, sondern auch für die Defizite im reichen Westen.

Wie sieht bei „Monitor“ ein Beitrag über Menschenrechte aus?

Wir sagen nicht: Wir müssten mal wieder was über Menschenrechte machen. Das schreckt die Zuschauer ab. Die denken dann an langweilige Bürokraten, die Papiere ausfüllen und abstimmen. Wir berichten über konkrete Einzelfälle, wie über Roma-Kinder in Köln, die klauen und deshalb von den Behörden ins Heim gesteckt werden sollen. Das ist ein interessanter Zwiespalt: Kinderrechte durchsetzen gegen Elternrechte.

Welche Gewichtung haben Inland und Ausland bei „Monitor“?

Die Sendung hat zwar ein innenpolitisches Profil – wir berichten aber auch über den Irak. Entscheidungen der Europäischen Union in Brüssel gehören für uns ebenso zur Innenpolitik wie gleiche Beiträge für Versicherungen, egal ob Mann oder Frau. Formale Gleichstellung gehört ganz klar in den Bereich Menschenrechte.

Die Medienlandschaft hat sich in den letzten Jahren verändert …

Ja, sie ist herzloser geworden, und es gibt weniger Überzeugungstäter. Viele Journalisten meinen, sie können auf ein Anliegen verzichten, solange sie schnell arbeiten und sauber die Informationen sammeln. Das reicht aber nicht. Hintergründe zu Menschenrechtsthemen laufen auch nicht mehr zur Primetime. Weil die Zeiten so sind, müssen wir von unseren Zuschauern verlangen: Dann sucht sie gefälligst.

Worüber wird zu wenig berichtet?

Über die Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Es wurde beispielsweise oft nur sensationalistisch und modisch über die afghanischen Frauen berichtet. Inzwischen ist deren Situation fast genauso katastrophal wie unter den Taliban. Da würde ich gerne mehr drüber sehen. Dasselbe gilt für die Klitorisbeschneidung in vielen Ländern Afrikas.

Interessiert das denn die Zuschauer?

Es gibt keine Konjunktur dafür. Man darf nicht sagen: Ich mache ein Frauenthema, sondern ein interessantes Thema. Und zufällig steht eben eine Frau im Mittelpunkt meines Filmes. Die Medien sind bemüht, alles in Echtzeit zu zeigen. Für Hintergründe bleibt keine Zeit. Eine Crux der Berichterstattung sind Nachhaltigkeit und Kontinuität. Wochenlang wurde über Osttimor berichtet. Man kannte jede Palme da und auf einmal war alles still. Wie es jetzt dort aussieht? Ich weiß auch bei ganz vielen Katastrophen nicht, ob das Land nicht immer noch unter Wasser steht, weil mir nie jemand gesagt hat, wie es zu Ende gegangen ist.

Wie wäre es mit einer Sendereihe „Wie es zu Ende gegangen ist“. Oder „Die vergessenen Kriege“?

Nein, ich war immer dafür, subversiver zu arbeiten. Diese Themen müssen im aktuellen Angebot integriert werden. Sonst heißt es: sofort abschalten.

Die ungekürzte Fassung dieses Gesprächs erscheint 2004 im Dossier „Menschenrechtsbildung – Vermittlung der Menschenrechte während der UN-Dekade“, herausgegeben von Claudia Mahler und Anja Mihr