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Archiv-Artikel

Selbstbewusst faul

Die Berliner Initiative der „Glücklichen Arbeitslosen“ will Tabus brechen: eine Debatte um Zeit, Geld und Alternativen

Bremen taz ■ Sind Arbeitslose unglücklich? Für Guillaume Paoli von den „Glücklichen Arbeitslosen“ in Berlin ist die Frage einfach zu beantworten. „Wenn Arbeitslose unglücklich sind, liegt dass nicht daran, dass sie keine Arbeit haben – sondern daran, dass ihnen Geld fehlt“, erklärte der Buchautor und „glückliche Arbeitslose“ am Freitagabend bei einer Veranstaltung im Anares Buchladen. Er spricht statt von Arbeitslosen lieber von Geldlosen.

Die Berliner „Glücklichen Arbeitslosen“ gibt es seit 1996. „Wir haben eines Tages festgestellt, dass wir arbeitslos sind und es uns gut dabei geht.“ Dabei wollte man keine weitere Interessenvertretung von Erwerbslosen werden. „Die gibt es schon zu Genüge. Wir wollten zeigen, dass es ein Leben nach der Arbeit gibt.“ Dieses Leben sei enorm attraktiv – wegen der vielen freien Zeit. Doch die drohe knapp zu werden, seit Arbeitsämter aktive Stellenbewerbungen einforderten. „Der bürokratische Aufwand wird immer höher. Das ist nicht nur für uns ein Problem, sondern auch für die Arbeitgeber“, erklärte Paoli. „Die müssen schon Leute anstellen um die vielen Bewerbungen zu beantworten.“ Tatsächlich gibt es in Berlin derzeit 10.000 offene Stellen für fast 300.000 Erwerbslose.

Eine Antwort auf die absurde Situation ist ein Stellen-Ablehnungs-Generator: Er entwirft fiktive Ablehnungsschreiben, mit Briefköpfen existierender Unternehmen. Der Nutzer gibt seine beruflichen Qualifikationen ein und schon spuckt der Stellen-Ablehnungs-Generator die vom Arbeitsamt geforderten Ablehnungen aus. „In Berlin hat das wirklich funktioniert“, sagte Paoli. „Die wussten zwar von unserem Programm, aber die Sachbearbeiter wollten die Ablehnungen trotzdem sehen – die brauchen das für die Akte.“ Weil sich Arbeitslose mittlerweile bundesweit bewerben müssen, müsse der Stellen-Ablehnungs-Generator dringend erweitert werden. „Eine neue Version wäre toll“, sagte Paoli, „aber das dauert. Schließlich soll das für uns nicht in Arbeit ausarten.“

Was manchmal wie ein Sekundanerwitz klingt, hat einen ernsthaften Hintergrund. „Wir wollen den Arbeitslosen nicht, der in der Früh um acht aus dem Haus geht, sich tagsüber im Stadtpark herumtreibt und abends um 18 Uhr wieder nach Hause kommt.“ Die Glücklichen Arbeitslosen wollen den Erwerbslosen neues Selbstvertrauen geben. Denn eines sei klar, Vollbeschäftigung werde es nie wieder geben. Deshalb müsse man Arbeitslose aus ihrer gesellschaftliche Isolation reißen. Sie sollten ihre Situation als Privileg verstehen. Dabei sei die materielle Seite nicht entscheidend.

Paoli warb für einen „erweiterten Begriff von Armut“. Der umfasse auch die geistige und spirituelle Armut etwa eines leitenden Angestellten, der zwischen Projektarbeit und Teamsitzung – trotz guten Gehalts – keine Zeit für die schönen Dinge im Leben habe.

Hier regte sich im Publikum Widerspruch. Erst komme das Fressen, dann die Moral. „Von Spiritualität kann ich mir weder Margarine noch Marmelade kaufen“, sagte ein älterer Herr mit Brecht’schem Pathos. Die meisten Sozialhilfeempfänger seien keine ehemaligen Manager oder leitende Angestellte. „Das sind häufig Armutskarrieren, die viel mit Demütigung und Ausgrenzung zu tun haben und das über mehrere Generationen“, kam es soziologisch abgeklärt aus einer anderen Ecke. Einig war man sich, etwas gegen Individualisierungs-Tendenzen tun zu müssen. „Heute versucht jeder sein individuelles Arrangement zu finden“, ging man nach dreistündiger Debatte auseinander.

Fritz Schorb