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Archiv-Artikel

Demokraten auf der Erbse

Experten wollen bei der jüngsten US-Wahl ebenso gravierende Mängel festgestellt haben wie schon vor vier Jahren. Die Diskussion darüber aber ist inzwischen zur Debatte für Spezialisten verkümmert

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

„Wahlbetrug“ und „Kerry: Sieg“ hallt es drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl hartnäckig durch die Weiten des Internets. Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur.

Fakt ist, logistische Pannen gab es reichlich: zu wenig Wahlmaschinen und Wahlhelfer, verwirrende Regeln und technische Defekte. Überdies sorgten Wahlcomputer ohne Papiernachweis für Argwohn. Inwieweit Wähler absichtlich eingeschüchtert wurden, ist Gegenstand der Kontroverse, vor allem in Ohio, wo Bush die Wahl mit einer soliden Mehrheit von 136.000 Stimmen für sich entscheiden konnte. Zwar waren in der Wahlnacht rund 155.000 Stimmen noch nicht ausgezählt. Doch Kerry kalkulierte, dass davon eine satte Mehrheit an ihn gehen müsste, um zu gewinnen. Daran glaubte er nicht und gestand seine Niederlage ein.

Die Demokraten in Ohio fechten nun das Wahlergebnis an und unterstützen die Initiative zu einer Neuauszählung, die von den Grünen und der Freiheitlichen Partei angestrengt wurde. Kerrys Parteifreunde mögen bei diesem Unterfangen die leise Hoffnung nicht aufgegeben haben, dass es noch eine Weihnachtsüberraschung gibt, zumal in Ohio 57 Prozent der Wähler mit den berüchtigten Stanzmaschinen abstimmten, die 2000 in Florida für das Wahlfiasko sorgten.

Vielleicht haben sie die Artikel von Enthüllungsjournalisten wie Greg Palast gelesen, der im Onlinemagazin www.salon.com einen Kerry-Sieg herbeizuschreiben versucht. Demnach habe die Wahlbehörde – geleitet von einem Republikaner – absichtlich 93.000 Wahlzettel für ungültig erklärt. Alle stammten überwiegend aus schwarzen Stimmbezirken mit Stanzmaschinen. Palast wirft ihr zudem vor, dass viele Afroamerikaner ihre Stimme nur „provisorisch“ abgeben durften – wenn der Verdacht nahe liegt, nicht wahlberechtigt zu sein. Die Wahlbehörden entscheiden dann, ob eine Stimme gültig ist. Palast glaubt daher, dass die 155.000 provisorischen Stimmen in Ohio mehrheitlich an Kerry gehen würden.

Das halten Fachleute für Wunschdenken: „Ich glaube, man kann sicher sagen, dass, wenn alle Stimmen gezählt sind, Bush in Ohio gewonnen hat“, sagt Rechtsprofessor Dan Tokaji von der Ohio State University, der im Auftrag der Bürgerrechtsunion ACLU die Wahl im umstrittenen Bundesstaat untersuchte. Ebenso sicher ist aber auch, dass Stanzkarten mit ihrer Fehlerquote viele ungültige Stimmen unter Afroamerikanern produzieren. Skandalös sei die marode Technik: „Hätte die Entscheidung in Ohio an 5.000 Stimmen gelegen, hätten wir eine Wiederholung von 2000 erlebt.“

Zu dieser wenig beruhigenden Erkenntnis gesellt sich weiterhin das Rätsel der Meinungsforscher über die Diskrepanz zwischen den „exit polls“ (Umfragen unter Bürgern, die gerade aus dem Wahllokal kommen) und dem Wahlergebnis. Die Debatte hat sich zu einem Gelehrtenstreit entwickelt.

Professor Steven Freeman von der Pennsylvania University untersuchte diese unerklärliche Lücke und glaubt, dass Kerry weit mehr Stimmen hätte erhalten müssen. Andere hingegen sehen die Daten im Bereich der üblichen Fehlerquote von drei bis vier Prozent. „Ich kann nicht erkennen, dass die Wahl manipuliert wurde“, sagt Heather Gerken von der Harvard University.

So ist es hier dieser Tage. Warnung und Entwarnung halten sich die Waage und stiften Verwirrung. Kaum haben Wissenschaftler der University Berkeley herausgefunden, dass in Florida bis zu 260.000 Stimmen aufgrund von defekten Wahlcomputern fälschlich an Bush gingen, bescheinigt eine andere Studie des „Massachusetts Institute of Technology“ dem Sonnenstaat einen weitgehend akkuraten Wahlverlauf.

An den glauben aber selbst Parlamentarier in Washington nicht mehr. Nachdem bei ihnen 57.000 Beschwerden über Wahlprobleme eingingen, kündigte die Untersuchungsbehörde des Kongresses auf Drängen der Demokraten eine Überprüfung an. Die Organisation „Blackboxvoting.org“, die den Einsatz von Wahlcomputern ablehnt, beantragte unterdessen, dass die Computerprogramme aus 3.000 Stimmbezirken offen gelegt werden, um die Vorwürfe von Wahlbetrug auszuschließen.

Angesichts des Misstrauens werden die Rufe nach landesweit einheitlichen Standards und einem schriftlichen Nachweis von „Touchscreen“-Maschinen lauter. „Unser System muss endlich so sattelfest sein“, schreibt David Korn im Magazin The Nation, „dass niemand auch nur auf die Idee kommt, die Wahl sei manipuliert worden.“

Gute Idee.