: Bildungsleichen und andere: in Opferpose vereint
Alle reden über Studiengebühren. Fürs Einschreiben, für Langzeitstudis, für den Unibesuch überhaupt. Nur verantwortlich dafür will keiner so recht sein
Bremen taz ■ Opfer, nur Opfer saßen am Dienstagabend auf dem Podium und im Publikum des voll besetzten Hörsaals der Universität Bremen. Die Studierenden haben den Opferstatus ohnehin für sich gebucht, sehen sie sich doch als zukünftige „Bildungsleichen“ auf der Straße liegen, weil sie sich Verwaltungs- und Langzeitgebühren nicht leisten können. „Bildung bald nur noch für Reiche“ ist die Schlagzeile, die sie seit Anfang letzter Woche auf T-Shirts und Transparenten zur Schau tragen – ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass auch das jetzige System Kinder aus einkommensschwachen Familien von einem Studium abschreckt.
Moderator und taz-Redakteur Klaus Wolschner sammelt also Klagen – und übergibt sie an Rektor Wilfried Müller. Doch der gibt gleich zu Beginn zu verstehen, dass er sich „nicht als Verantwortlicher fühlt, sondern als Betroffener“. Die geplanten Langzeitgebühren von 500 Euro ab dem 15. Semester seien nicht auf seinem Mist gewachsen, sondern seien den Hochschulen von der großen Koalition eingebrockt worden. „Wir lehnen das genauso ab wie Sie, das ist kein Weg, um Studienzeiten zu verkürzen“, sagt er und wirbt bei den Studierenden um Unterstützung für eine gerechtere Hochschulreform. Die Gelegenheit, auch die Verantwortung für die 50 Euro Verwaltungsgebühren pro Semester der großen Koalition in die Schuhe zu schieben, nimmt er allerdings ausdrücklich nicht wahr. „Wir haben im nächsten Haushalt ein Defizit von 5 Millionen Euro und müssen auf Ihrem Anteil bestehen.“ Schließlich müssten auch die Angestellten mit Lohneinbußen leben.
Nächstes Opfer: Walter Dörhage, Wissenschafts-Staatsrat unter Bildungs-und Wissenschaftssenator Willi Lemke (SPD). Die Verwaltung setze lediglich die Beschlüsse der Politik um. „Es gibt ein Politik-Paradox“, diagnostiziert der Verwaltungschef. „Auf der einen Seite fordern alle höchste Priorität für Wissenschaft und auf der anderen Seite löst die Politik das wegen leerer Kassen nicht ein.“ Dabei würde Bremen vergleichsweise viel Geld in Wissenschaft und Bildung investieren. Von Kürzungen, gegen die Studierende derzeit in anderen Bundesländern protestieren (siehe Bericht SEITE 24), könne keine Rede sein.
„Noch nicht“, droht der CDU-Wissenschaftssprecher Jörg Jäger mit Verweis auf die Ungewissheit, ob Bremens klaffende Haushaltslöcher noch einmal mit Bundeshilfe gestopft werden können. Überhaupt der Bund: Er gehe ohnehin davon aus, dass doch noch das Verbot gegen Studiengebühren aufgehoben würde. Ohne sich darum zu scheren, dass dies wahrscheinlich das allerletzte ist, was die Studis von ihm hören wollen, regt er an, sich auch Gedanken über ein gebührenfinanziertes Studium zu machen. Und nicht nur über Geld müsse man reden, sondern auch über eine straffere Organisation des Studiums inklusive Beratung und Kontrolle. „Es gibt kein Recht auf lebenslanges Studieren“, ist Jägers Botschaft. Verwaltungsgebühren hält aber auch er – „gegen die Mehrheitsmeinung meiner Partei“ – für den falschen Weg. Doch schließlich sei Bremen von Niedersachsen umstellt und Verwaltungsgebühren für Studis auch in anderen Bundesländern längst gang und gäbe. Bremen könne da keine Extrawurst verlangen.
Dann ist da noch der Vorsitzende des Allgemeinen Studierenden Ausschusses (AstA), Tim Cordßen, der zwar gleichzeitig SPD-Wissenschaftsdeputierter ist, mit den SPD-Plänen für Langzeitgebühren aber nichts zu haben und lieber als oberster Studierendenvertreter sprechen möchte. „Es gibt hier offenbar nur Opfer“, stellt schließlich die Grünen-Wissenschaftssprecherin Silvia Schön fest. „Wenn niemand so richtig für die Langzeitgebühren ist, dann lassen wir das halt.“ Das wiederum würden die Studierenden auch gerne von der Wissenschaftsdeputation hören, die sich im Januar mit dem Thema befassen wird. So lange will Aarti Sörensen, 21 Jahre alt und Politik-Studentin im 3. Semester, nicht warten. Die Studis, fordert sie, sollten die Sache selbst in die Hand zu nehmen. „Das ist unser Streik und wir tragen die Verantwortung dafür, wie es mit unserem Studium weitergeht.“ Und dann sagt sie noch den offensivsten Satz des Abends: „Lasst uns träumen, wie es sein könnte.“ Das klingt nicht kitschig, sondern sehr pragmatisch. Eiken Bruhn