Bettina Gaus über Fernsehen : Die gefährliche Langeweile am Sein
Die Definition der Menschenwürde beherrscht das deutsche Fernsehen. Leider nicht immer auf erfreuliche Weise
Roboter sind auch nur Menschen. Wie Sat.1 am Samstag mit der Filmkomödie „Der 200 Jahre Mann“ bewies. Robin Williams spielt darin ein entsprechendes Haushaltsgerät, das im Lauf der Zeit nicht nur Gefühle entwickelt, darunter den Wunsch nach Freiheit, sondern darüber hinaus medizinische Forschungen betreibt. Die ermöglichen es ihm, sich ein zentrales Nervensystem implantieren zu lassen, Geschlechtsverkehr zu haben, gutes Essen zu genießen und sogar – zu sterben. Im Augenblick seines Todes erkennt ihn das Weltparlament der Zukunft als Mensch an.
Der reine Kitsch, schon klar. Aber was spricht eigentlich dagegen? Gemessen daran, was einem auf dem Bildschirm sonst so entgegenflimmert, ist dieser Film ein wunderbares Plädoyer für die Menschenwürde. Oder besser: für die Auseinandersetzung mit der Frage, wie Menschenwürde und Menschsein sich eigentlich definieren lassen.
Interessant ist nicht, wie der Film diese Frage beantwortet. Interessant ist, dass das Thema überhaupt für eine Frage gehalten wird und dass es einen abendfüllenden, hochkarätig besetzten Film zu tragen vermag. Man hatte doch eigentlich angenommen, die Skala menschlicher Grundprobleme sei seit – na ja, sagen wir: ein paar tausend Jahren hinlänglich ausgelotet. Um mal einige der wichtigsten Koordinaten zu nennen: Liebe, Gier, Rachsucht, Lust, Neid, Machthunger, Schmerz, Sehnsucht. Das ein oder andere Gefühl ließe sich gewiss noch zusätzlich erwähnen, im Prinzip jedoch können die Plots der meisten TV- und Kinoproduktionen damit ganz gut zusammengefasst werden.
Aber die Definition der menschlichen Natur und Würde als Kassenknüller? Dafür muss eine Gesellschaft innerlich schon sehr tief verunsichert sein – und zugleich unter ganz ruhigen äußeren Bedingungen leben. Das Thema eignet sich gewiss nicht für eine Bevölkerung in Kriegszeiten. Oder während einer Hungersnot. Oder nach einer Naturkatastrophe. Oder in anderen Situationen, in denen Gefahren als unmittelbar, real und fassbar empfunden werden. Im irakischen Falludscha vermöchten derzeit vermutlich nur wenige potenzielle Zuschauer ehrliches Mitgefühl mit einem traurigen Roboter aufzubringen.
Nun wäre es schon arg weit hergeholt, aus einem einzigen Film die Zustandsbeschreibung einer ganzen Gesellschaft ableiten zu wollen. Wenn es denn ein einziger Film wäre. Aber die Frage nach der Definition der Menschenwürde beherrscht das deutsche Fernsehen, vor allem die Privatsender, längst in stärkerem Maße als jedes andere Thema – nur im Allgemeinen auf weit unerfreulichere Weise als die, in der Robin Williams sie stellt.
Dschungelcamp, Castingshow, Trashtalk, Bachelor und Bachelorette: Wieder und wieder beklagen Politiker und andere Vertreter des öffentlichen Lebens eine Verletzung der Menschenwürde. Und wieder und wieder zuckt das – überwiegend jugendliche – Publikum mit den Achseln und schaut weiter zu. Weil es doch schließlich genau darum geht: Was ist eigentlich Menschenwürde? Wo beginnt und wo endet sie?
Um nichts anderes ist es auch in der Kaserne von Coesfeld gegangen und in den anderen Bundeswehreinrichtungen, in denen Rekruten misshandelt und erniedrigt worden sind. Um die Frage nämlich, was zulässig ist im menschlichen Miteinander und was nicht. Fest steht, dass die Gesellschaft sich noch immer darauf einigen kann, dass die Vorfälle bei der Bundeswehr nicht hinnehmbar sind und dass alle möglichen Grenzen klar überschritten wurden. Immerhin. Ziemlich glaubwürdig sind aber auch Berichte, denen zufolge eine ganze Reihe der Rekruten das Ganze echt spannend gefunden hat und die Aufregung für reichlich übertrieben hält.
Es hat sich herumgesprochen, dass in unruhigen Zeiten eine Verrohung der Gesellschaft droht. Die Gefahren, die von kollektiver Langeweile und einem tief empfundenen Mangel an Herausforderungen ausgehen, sind im öffentlichen Bewusstsein noch nicht so fest verankert. Auf dem Bildschirm schon.
FERNSEHENFragen zur Würde?kolumne@taz.deMorgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER