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Archiv-Artikel

Zweifel an der schönen, neuen Konsumwelt

Fachleute von IHK, Forschungsinstitut und Einzelhandelsverband halten geplantes Großprojekt an der Landsberger Allee nur mit beschränktem Sortiment für verträglich. Grüne Hämmerling wirft Senat wirtschaftsfeindliche Politik vor

Einzelhandelsexperten haben sich kritisch gegenüber dem geplanten Einkaufszentrum an der Landsberger Allee 358 geäußert. Für das Hamburger Prisma-Institut für Handesforschung verträgt sich die Planung „nur mit erheblichen Einschränkungen“ im Sortiment mit dem Berliner Handel. Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie der Gesamtverband des Berliner Einzelhandels stimmen dem neuen Zentrum nur unter diesem Vorbehalt zu. Laut Senatsbaudirektor Hans Stimmann werden infolge des Konzentrationsprozesses im Einzelhandel weiter kleinere Geschäfte untergehen: „Wir können das nicht steuern.“

Prisma, IHK und Verband äußerten sich gestern in einer Anhörung des Stadtentwicklungsausschusses. Die Grünen-Fraktion hatte dazu eine große Anfrage auf den Weg gebracht. Ihre Abgeordnete Claudia Hämmerling hatte sich dafür einen ganzen Stapel Konzepte für die Einzelhandelsplanung aus der Senatsverwaltung zusammengepackt.

Der geplante Standort an der Landsberger Allee 358 tauchte dabei teils gar nicht, teils nur in deutlich kleinerer Form auf. „Jetzt ist dort das bundesweit zweitgrößte Einkaufszentrum geplant“, sagte Hämmerling. „Da fragt man sich doch: Wieso das ganze Papier?“

Für die Grünen handelt der Senat wirtschaftsfeindlich und beschleunigt einen freien Fall des Einzelhandels und Arbeitsplatzverlust, wenn er solche Projekte nicht stoppe. „Stadtplanungspolitik darf sich nicht auf neue Investitionen reduzieren, sondern muss eine funktionierende Gesamtstruktur zum Ziel haben“, sagt Hämmerling.

Senatsbaudirektor Stimmann nannte Hämmerlings Kritik eine „vollkommen falsche Wahrnehmung“. Nach seinen Zahlen landeten von den zwischen 1991 und 2003 entstandenen Einzelhandelsflächen nur 7 Prozent nicht dort, wo das Land sie gern gehabt hätte. Selbst diese Fehlerquote liege nicht am Senat, sondern an den Bezirken, die die Baugenehmigungen gaben. Das sei ein „Ergebnis blinder Bezirkspolitik“.

Stimmann wandte sich generell gegen die Annahme, das Land könne weitgehend Einfluss auf die Einzelhandelsentwicklung nehmen. „Planer-Allmachtsfantasien“ nannte er das. Er bestätigte, dass im Einzelhandel derzeit der dramatischste Konzentrationsprozess überhaupt stattfindet: „Dieser Prozess wird weitergehen und geht ökonomisch zu Lasten der Kleinen. Wir können das nicht steuern.“ Lenken wolle man nur die Standortwahl.

IHK-Experte Jochen Brückmann hielt gerade das für besonders bedeutsam. Es liege der IHK und dem Einzelhandelsverband völlig fern, in die Gewerbefreiheit einzugreifen. Doch: „Man kann auch Investoren für großflächigen Einzelhandel in die Zentren holen.“ Das sei bedeutsam, da Berlin mangels Umland auf Touristen als zusätzliche Kunden angewiesen sei. „Ich weiß nicht, ob sich Geschäftsreisende und Touristen unbedingt in die Landsberger Allee verirren werden.“ STEFAN ALBERTI