„Es ist klug, dass die Grünen den Streit um Hanau internationalisieren“, sagt Herr Beck

Der Streit um den Export der MOX-Fabrik zeigt idealtypisch, wie Politik unter globalisierten Bedingungen funktioniert

taz: Herr Beck, können die Grünen den Export der Hanauer Plutoniumfabrik mit verantworten? Oder riskieren sie damit eine existenzielle Krise?

Ulrich Beck: Ich glaube, die grüne Partei ist so gefestigt, dass sie dies, gewiss widerwillig, mit tragen kann, ohne zu zerbrechen. Überraschend finde ich, dass die SPD nicht versteht, dass sie die Grünen in einen Identitätskonflikt stürzt. Die Grünen haben ja die Macht als Anti-Atombewegung erobert. Das müsste die SPD wahrnehmen – aber sie tut es nicht.

Geht es nur um Schröder? Liegt der Fehler nicht auch bei Joschka Fischer? Das Außenministerium scheint den Export durchzuwinken – und Fischer hat sich auf die Sachzwanglogik zurückgezogen. Reicht das?

Nur mit Sachzwängen zu argumentieren, finde ich unangemessen. Aber ich halte es für ausgeschlossen, dass Joschka Fischer hier ganz leichtsinnig und unsensibel gehandelt hat – gerade weil er mit dem Protest gegen die Hanauer Fabrik in den 90ern politisches Profil gewonnen hat.

Vielleicht leidet Fischer unter politischem Gedächtnisschwund?

Das glaube ich nicht. Der Konvertit ist vielmehr Schröder, der ja auch mal ein aktiver Gegner der Atomkraft war. Schröder hat nicht nur in der Atomfrage seine Meinung gewechselt. Auch bei der Gentechnologie, der Humangenetik und der pränatalen Diagnostik steht Schröder für eine Politik der forcierten Bedenkenlosigkeit. Der Hanau-Export ist eine typische Schröder-Aktion: Offenbar hat er in China, pragmatisch aus dem Bauch heraus, die Idee gehabt, dass der Hanau-Verkauf eine praktische Sache ist: Er dient den ökonomischen Interessen Deutschlands und schafft uns das Problem vom Hals. Ob dieses Geschäft die Glaubwürdigkeit von Rot-Grün beschädigt, ist einfach nicht wichtig. So etwas müsste man von Fischer nicht befürchten.

Trotzdem: Sprengt der mögliche Hanau-Verkauf nicht die Inszenierung von Kontinuität und Bruch, auf die sich die Grünen so gut verstehen? Das grüne Selbstbild lautet ja: Wir regieren zwar, verfolgen aber noch immer unsere ursprünglichen Ziele. Wie passt das zum Hanau-Export?

Die Grünen betreiben seit 1998 eine Art Doppelspiel. Ich meine das gar nicht negativ. In der Regierung signalisieren sie effektiv Kompromiss- und Durchsetzungfähigkeit, gleichzeitig stellen sie ihre eigene Opposition dar. Bisher ist es ihnen gelungen, diese beiden Rollen gekonnt vorzutragen. Und diese Spannung zwischen Regieren und Opponieren macht ja die Lebendigkeit dieser Partei aus.

Solche Doppelspiele funktionieren aber nur, wenn sie zum Teil im Verborgenen bleiben.

Nun, vor allem funktionieren sie nur, wenn sie nicht bewusst inszeniert, sondern echt sind und also die Strömungen in der Partei widerspiegeln. Aber Sie haben Recht: Wahrscheinlich würde die Politik, zu Hause aus der Atomenergie auszusteigen und gleichzeitig international wieder einzusteigen, dieses Spiel aufsprengen. Das ahnt man, wenn der Grünen-Chef Bütikofer den Hanau-Deal bedauert – und dabei schon zähneknirschend die Zustimmung mit signalisiert.

Haben die Grünen auch etwas richtig gemacht?

Ja. Sie haben recht schnell die transnationale Karte gespielt. Das fand ich sehr erfreulich. Schröder hat dafür ja die Vorgabe gemacht: Wir werden unseren Müll im Ausland los – und bekommen noch Geld dafür. Dieser augenzwinkernde Realismus von Schröder hat ja einen internationalen Aspekt. Auch deshalb war es klug von den Grünen, mit dem Verweis auf EU-Gesetze und die Interessen der USA, keine Atomwaffen weiterzuverbreiten, dagegenzuhalten.

Das ist eine neue Qualität von Politik?

Ja. Schröder will nationale Interessen im nationalen Rahmen durchsetzen. Aber das geht nicht. Diese Vernetzung von Innen- und Außenpolitik ist typisch für Politik unter globalisierten Bedingungen. Aus solchen Konstellationen ergeben sich neue Chancen: etwa die Möglichkeit, dass die Grünen in der Hanau-Frage mit der Bush-Regierung an einem Strang ziehen könnten. Oder dass sie ein Bündnis mit der EU-Kommission suchen, weil dieses Geschäft mit bestimmten EU-Richtlinien kollidiert. Wir existieren nicht mehr in abgeschlossenen nationalen Containern.

Ist der Verweis auf die USA mehr als ein Taschenspielertrick der Grünen, um sich aus der Bredouille zu bringen?

Es ist ein Schachzug – aber ein interessanter. Denn wir leben ja im Zeitalter transnationaler Politik. Und da ist die Vorstellung naiv, dass die wichtigen nationalen Entscheidungen im Bundestag fallen. Deshalb weist der Versuch der Grünen, dieses innenpolitische Problem zu transnationalisieren, nach vorn. Mal abwarten, ob das funktioiniert. Aber es ist auf jeden Fall ein intelligenter Versuch.

Die Bühne, auf dem der Kampf stattfindet, ist aber nach wie vor die nationale Öffentlichkeit.

Ja, sicher. Transnationale Politik bedeutet ja nicht, dass die Akteure aus ihrem nationalen Rahmen herausspringen, sondern dass es noch mehrere Mitspieler auf anderen Ebene gibt. Wir sehen, dass Globalisierung nicht den Tod von Politik bedeutet, wie oft behauptet wird. Im Gegenteil: Sie eröffnet Chancen – auch für minoritäre Politiken.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE