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: Die orange Revolution ist in Gefahr: Europa muss deshalb deutlicher Farbe bekennen

Seit zehn Tagen demonstrieren die Menschen jetzt im eiskalten Kiew. Viel länger lässt sich die Masse nicht auf der Straße halten, der Opposition um Wiktor Juschtschenko läuft die Zeit davon. Ein Ultimatum nach dem anderen lässt sie verstreichen und wartet auf Entscheidungen des Obersten Gerichtes und des Parlaments. Das ist zwar richtig, weil es den Weg in eine rechtsstaatliche Verfassung weist. Nur wird immer klarer, dass Juschtschenkos Strategie nicht zum Erfolg führen wird.

Der regierende Präsident Leonid Kutschma glaubt offenbar immer noch – oder wieder –, dass er das Machtpoker nach seinen Regeln zu Ende spielen kann, mit oder ohne den Ministerpräsidenten Wiktor Janukowitsch. In diesen Regeln hat das Gesetz keinen Platz. Wenn Kutschma nicht als Gewinner aus diesen Tagen hervorgehen soll, wird man ihn unter Druck setzen und aus seinem Amt treiben müssen.

Das könnten die Demonstranten erledigen, indem sie Präsidentenpalast und Regierungsgebäude stürmen. Doch sie favorisieren – bis jetzt – überwiegend eine friedliche Lösung. Juschtschenko hat bisher nichts getan, um sie zum Aufruhr anzustacheln. Und das zu Recht. Mit Gewalt riskiert die Opposition die Gegengewalt der Regierung, im schlimmsten Fall gibt es Tote. Das wäre nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern auch eine politische, weil es den für die Zukunft des Landes so wichtigen Gründungsmythos der friedlichen, der orangen Revolution zerstören würde.

Eine solche Tragödie zu verhindern ist jetzt Sache Europas. Orangen im Bundestag und Reisen nach Kiew waren wichtige Gesten. Jetzt reichen sie nicht mehr aus. EU-Außenkoordinator Javier Solana muss Kutschma und Konsorten bei seinem Besuch in Kiew mit undiplomatischem Druck deutlich machen, dass sie für Europa keine akzeptablen Verhandlungspartner mehr sind, dass ihr Geld in Europa nicht sicher ist und sie mit Europa künftig auch keine Geschäfte mehr machen werden.

Der Oppositionskandidat Juschtschenko ist keine Lichtgestalt – aber er ist die einzige Alternative. Ob er der Ukraine eine neue Verfassung geben und sie demokratisieren wird, ist unklar. Sicher ist nur, dass Kutschma und sein möglicher Wunschnachfolger das nicht planen. Wenn Europa es ernst meint mit seiner Solidarität, muss es sich offener auf die Seite der Menschen auf der Straße schlagen. Und momentan Farbe für Wiktor Juschtschenko bekennen.

HEIKE HOLDINGHAUSEN