: Karsai kandidiert mit Warlords
AFGHANISTAN Der im In- und Ausland kritisierte Präsident hat seine Macht konsolidiert und ist dank der Uneinigkeit der Konkurrenten der große Favorit der Wahl im August
AUS KABUL THOMAS RUTTIG
Nach Monaten der Unklarheit ist Hamid Karsai endlich deutlich geworden. Am Montag kündigte Afghanistans Staatsoberhaupt vor der Presse in Kabul an, dass er bei der Präsidentenwahl am 20. August eine zweite Amtszeit anstrebt. „In ein paar Tagen werde auch ich mich mit meinen Vizepräsidenten-Kandidaten registrieren lassen“, sagte er. Schon am Dienstag, als die Regierung aus Sicherheitsgründen die geplante Parade zum Gedenken an den sowjetischen Rückzug 1989 absagte, tauchten erste Wahlplakate Karsais auf.
Entgegen der üblichen afghanischen Praxis, Kandidaturen und so Raum zum Manövrieren möglichst lang offen zu halten, kam Karsai so seinen Hauptkonkurrenten zuvor. Die 14-tägige Einschreibefrist für Bewerber hatte vergangenen Samstag begonnen. Bisher hatten sich nur Außenseiter eintragen lassen.
Karsai kann sich des Sieges wieder ziemlich sicher sein. Sowohl innenpolitisch als auch international hatte sich die afghanische Wahlarithmetik wieder einmal grundlegend geändert. Die oppositionelle Nationale Front (NF), Karsais Hauptgegner, konnte sich wieder nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen und zerfällt seitdem. Und die Obama-Administration in den USA, die wiederholt die grassierende Korruption in Karsais Regierung kritisierte, fand keinen überzeugenden Gegenkandidaten. Aus dieser Not erklärte sie ihre Neutralität – ein echtes Novum.
Der Schwenk des starken NF-Mannes, Exvizepräsident und Exverteidigungsminister Marschall Muhammad Qasem Fahim, eines Tadschiken, zu Karsai bescherte ihm den Platz als erster Vize auf dem präsidialen Wahlticket. Fahim war sauer, dass seine Verbündeten ihn zugunsten von Exaußenminister Abdullah Abdullah fallen ließen. Der ist väterlicherseits Paschtune und soll Karsai im Süden Stimmen abnehmen. Karsais zweiter Stellvertreter soll erneut Muhammad Karim Khalili werden, ein cleverer Weißbart der Hasara-Minderheit. Dazu gesellen sich zwei weitere NF-Dissidenten: der Usbeke Abdulraschid Dostum und Muhammad Muhaqqeq, ein weiterer Hasara-Führer. Dazu kommen als Hauptberater die Geistlichen und Exmudschaheddinführer Abdulrabb Sayyaf und Ajatollah Mohseni, letzterer Architekt des umstrittenen Familiengesetzes für die schiitische Minderheit. Im Norden hat Gouverneur Muhammad Atta dem voraussichtlichen Sieger seine Unterstützung versprochen. Von Masar-i-Scharif aus, dem Hauptstandort der Bundeswehr in Afghanistan, kontrolliert er acht Provinzen.
Somit geht Karsai mit einem Septett von Warlords ins Rennen, das ihm als Paschtunen, auch Stimmen der drei größten ethnischen Minderheiten bescheren wird. Wenn nötig mit Waffengewalt – alle sieben kontrollieren teilweise zu Wachgesellschaften umdeklarierte Milizen und sind nicht als zimperlich bekannt. Als mutmaßliche Kriegsverbrecher stehen sie außer Atta auf entsprechenden Listen der UNO und mehrerer Menschenrechtsorganisationen.
Alle haben auch Standbeine in der legalen wie illegalen Wirtschaft. Aus der Umgebung des Präsidenten heißt es, das Team habe einen Wahlkampfetat von 25 Millionen Dollar. Gerade wurde im Kabuler Stadtteil Schaschdarak, das von Protzvillen im hier als Narkotektur bezeichneten pakistanischen Zuckerbäckerstil dominiert wird, ein neues Hauptquartier angemietet. Dort schwingt Sayyaf das Zepter, der bei einem Festessen am Sonntag schon eine deutliche Mehrheit von 150 Parlamentariern auf Karsai einschwor.
Schon ihre Kontrolle über bewaffnete Gruppen würde laut Wahlgesetz ausreichen, um die ganze Mannschaft zu disqualifizieren. Aber die Nato-geführte Schutztruppe Isaf mit ihren Datensammlungen hat sich in eine Beobachterrolle unter Führung afghanischer Ministerien definieren lassen, die selbst von Milizen durchsetzt sind. Die zahnlose Beschwerdekommission wird kaum Mutige finden, die bis zur Wahl verwertbare Beweise gegen die Warlords vorlegen. Wenn doch, kann Karsai die Schuld Ausländern zuschieben: Drei der fünf Kommissionsmitglieder wurden von der UNO nominiert.
Zudem hat er außerhalb Kabuls weitgehend freie Hand. Zwar kontrollieren die Taliban weite Landstriche, aber keine der 34 Provinzhauptstädte und nur 10 der fast 400 Distriktzentren. Dort platzierte er Gefolgsleute und dort wird anders als 2004 nach den Wahlen auch ausgezählt – aus Sicherheitsgründen weitgehend ohne ausländische Beobachter.