piwik no script img

Archiv-Artikel

„Deutschland ist kein Hotel“

Der Islam-Experte Ralph Ghadban hält die Multikulti-Debatte für verlogen – solange Deutsche und Einwanderer sich ab- und ausgrenzen und das Grundgesetz nicht als Fundament des kulturellen Dialogs anerkennen

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

taz: Parallelgesellschaft ist neuerdings ein Wort mit grässlichem Klang. Können Sie uns erklären, was das überhaupt ist – eine Parallelgesellschaft?

Ralph Ghadban: Ein soziales Milieu, das sich abschottet und eigenen Normen folgt und dafür eine Infrastruktur entwickelt, die seine Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft auf ein Minimum reduziert. Zwei Prozesse spielen hierfür eine entscheidende Rolle. Einer der Ausgrenzung und einer der Selbstabgrenzung.

Was ist der Unterschied zu einer homosexuellen Parallelgesellschaft?

Ich sehe die Gay Community nicht als Parallelgesellschaft. Dort wird nicht gegen das Grundgesetz gearbeitet.

Können Sie sich erklären, warum aktuell gerade muslimische Communities inkriminiert werden?

Nur ein Teil dieser Gemeinschaften ist davon betroffen, ich schätze so 30 Prozent. Die Mehrheit der Muslime ist ja schon integriert oder auf dem Weg dahin. Der Rest pflegt aber andere Normen, die unserem Verständnis von einer liberalen Gesellschaft widersprechen.

Inwiefern?

Es handelt sich um Scharia-Normen, die mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Auf diese Weise gewinnt die Geschlechtertrennung eine zentrale Rolle in diesen Gesellschaften, und die Gefahrenabwehr von der Welt der Ungläubigen dient weitgehend der Selbstabgrenzung. Die Verbreitung eines unaufgeklärten Islam belebt nebenbei die aus der alten Heimat mitgebrachten patriarchalischen Strukturen.

Woran scheitert in Deutschland oft eine Integration von türkisch oder arabisch geprägten Migranten?

Vor allem daran, dass keine Integration, sondern eine Abwehrpolitik betrieben wurde. Hier waren überhaupt Ausländer unerwünscht. Man wollte, dass sie hier arbeiten. Sie wohnten in Arbeiterwohnheimen, fast kaserniert. Man wollte sie nicht einmal sehen. Sie existierten nicht im öffentlichen Raum. Ihre religiösen und kulturellen Bedürfnisse wurden gar nicht wahrgenommen.

Und die Gastarbeiter?

Akzeptierten das – sie wollten ja sowieso nicht bleiben. Sie dachten, okay, ein paar Jahre Demütigungen in Kauf nehmen, aber dann geht’s mit dem Ersparten wieder nach Hause. Aber weil sie fast allesamt im Arbeitsprozess nur für die unqualifizierte Fließbandarbeit eingesetzt wurden, konnten sie nicht reich werden.

Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Ich kenne jemanden, der schon seit 30 Jahren an seinem Haus baut, er ist schon auf Rente, aber er wird sein Haus nie zu Ende bauen können. Er verdiente als Hausmeister einfach zu wenig.

Beschreibt das auch die Gründe, weshalb viele ihren Aufenthalt verlängert haben?

Ausschließlich dieser, ja. Und dann haben sie nach dem Anwerbestopp von 1973 ihre Familien nachgeholt – von dem Moment an stimmte der Begriff „Gastarbeiter“ nicht mehr. Sie waren keine Gäste mehr, sondern Immigranten.

Woran ist in jenen Jahren die Integration gescheitert?

Jedenfalls nicht an den Migranten. Sie sagten sich, in Ordnung, jetzt bleiben wir hier, wenn schon, denn schon. Sie wollten sich anpassen, sie wollten aber auch gleiche Rechte. Doch obwohl die SPD an der Macht war, unternahm die Regierung nichts für eine Einwanderungspolitik. Sie betrieb eine Integration auf Zeit, um den sozialen Frieden zu bewahren. Und später hat die Union eine Rückkehrpolitik forciert. Ist aber gescheitert, das ist der Witz, weil die Migranten nicht mehr in ihre alte Heimat zurückwollten.

Woran ist damals bei den Migranten der Wunsch nach Integration zerschellt?

An der Unwilligkeit der Politik, Deutschland als Einwanderungsland anzuerkennen. In diesen Jahren kamen die Islamisten auf den Plan. Die gab es ja längst. Sie lehnten diese demokratische Gesellschaft – dekadent, verdorben, unsittlich – ohnehin ab. Aber jetzt fanden sie mit ihren Reden Zulauf.

Was wussten sie anzubieten?

Eine islamische Identität. Und nun hörte man ihnen zu. Vor allem die zweite Generation, hier geboren und aufgewachsen, die bekam von den Islamisten eine Selbstwertgefühl vermittelt.

Haben Sie selbst Erfahrungen von Ausgrenzung gemacht?

Ja, bei der Wohnungssuche – mit meinem Namen war fast das unmöglich damals. Oder als ich mich 1976 im Bezirk Spandau um eine Lehrerstelle bewarb. Mein Antrag wurde nicht einmal angenommen. Die Sachbearbeiterin war total empört, dass ich überhaupt auf diese Idee kommen konnte.

Hat sich bei den Mehrheitsdeutschen denn inzwischen etwas getan?

Sehr viel, doch das Fatale ist, dass die deutsche Gesellschaft sich geöffnet hat, einige Segmente der ausländischen Gesellschaft haben hingegen geschlossen. Erst ökonomisch – Bäcker, Gemüseläden, Frisöre, Reisebüros, die Gastronomie. Ein Türke kann sich in manchen Vierteln den ganzen Tag bewegen, ohne Deutsch sprechen zu müssen.

Na und?

Ohne deutsche Sprache sind die Arbeitsmöglichkeit beeinträchtigt – und damit die Integration.

Dient es der Integration, wenn viele Ämter ihre Dienste auf auch Türkisch anbieten?

Nein, das ist wirklich keine glückliche Entwicklung. Viele meiner Freunde und Bekannten haben sich beklagt, dass dort die Parallelkultur ihre Fortsetzung findet.

Die Konsequenz aus der Idee von Multikulti.

Sie war mal gut gemeint. Die Menschen wurden immer mehr über ihre Kultur definiert. Nicht als Menschen. Multikulturalismus hat sich auf Kosten der Menschenrechte herausgebildet. Plötzlich war man ein Türke, ein Araber, ein Deutscher. Diese Essenzialisierung hat dazu geführt, dass diese Philosophie, ursprünglich emanzipatorisch gedacht, zu einer repressiven Bewegung geworden ist.

In welcher Hinsicht?

Zunächst in Bezug auf die Frauen. Plötzlich wurde großzügiger Recht gesprochen – man nahm es nicht mehr so genau mit den gleichen Rechten für die Frau. Das ist ihre Kultur, hieß es, wenn die Betroffene Muslimin war. Es zeigt sich immer an Frauen und Homosexuellen.

In manchen westlichen Ländern dürfen muslimische Communities vieles fast außerstaatlich selbst verwalten.

In Norwegen akzeptierten Behörden, dass die muslimische Community ihre Probleme selbst regelt. Plötzlich hatten die muslimische Frauen in Norwegen weniger Freiheiten als Frauen in Pakistan. Multikulti hat zur Desintegration der Gesellschaft geführt.

Migrantenkinder aus den Siebzigerjahren sprachen, so zeigen es Untersuchungen, schneller und besser Deutsch als jene Kinder, die in den späten Achtzigern und Neunzigern aufwuchsen.

Weil man keine Rücksicht auf ihren kulturellen Hintergrund genommen hat.

Finden Sie eine gewisse Härte in puncto Integration notwendig?

Sie muss nicht notwendig sein.

Ist nicht vielleicht jede Anpassung an gesellschaftliche Verhältnisse, die man erst kennen lernen muss, schmerzhaft?

Auf alle Fälle, aber man kann ja versuchen, diesen schmerzhaften Prozess zu lindern. Ich habe nie verstanden, warum der Staat das Problem des Religionsunterrichts nicht gelöst hat.

Hätte man Immigranten viel, viel früher willkommen geheißen …

… wäre uns viel erspart geblieben. Man braucht kein Multikulti, wir haben das Grundgesetz. Multikulti war für die Deutschen wohl bequemer als eine gute Einwanderungspolitik.

Droht nach dem Mord an Theo van Gogh die Akzeptanz für Muslime in Deutschland zu schwinden?

Es gibt nur einen Umschwung in der Stimmung, nicht in der Akzeptanz. Aber der kam schon nach dem Massaker von Beslan. Man hat auch bei uns die Muslime gebeten, etwas zu sagen. Man hat ihnen signalisiert, dass man beunruhigt ist.

Könnte paternalistisch gemeint sein.

Nein, das ist ihr Recht, das zu sagen, jeder ist beunruhigt, man möchte wissen, was sein Nachbar, der Muslim, denkt. Und wenn er sagt, ich bin nicht betroffen, dann bleibt die Unwissenheit vorhanden.

Die allermeisten Muslime fühlten sich nicht betroffen. Weshalb hätten sie sich distanzieren sollen?

Die Muslime müssen die Nervosität der Deutschen ernst nehmen. Das ist keine Islamophobie, sondern begründete Angst. Sie sagen immer, der Islam ist friedlich. Aber im Fernsehen sieht man, dass es nicht stimmt. Es gibt Muslime, die gut sein können oder eben Mörder. Sie hätten sich schneller distanzieren sollen.

War die Demonstration neulich in Köln nicht ganz in Ihrem Sinne?

Das war ein Anfang, das war positiv. Aber ich habe mich gefragt: Was wollen die Leute? Man sieht kaum eine deutsche Fahne, sondern nur türkische. Ich frage mich: Sind das meine Mitbürger, oder ist das eine türkische Kolonie?

Hätten sie mit schwarz-rot-goldenen Flaggen laufen sollen?

Ja, warum nicht? Man, die leben hier! Migranten müssen zeigen, dass sie mit mir leben wollen. Und nicht, dass Deutschland hier eine Kolonie für die Türkei ist.

Die deutsche Fahne zu tragen gilt doch auch als nationalistisch.

Gut, aber dann brauche ich auch keine türkische Flagge. Ich lasse mich durch Küsschen-Küsschen-Gesten nicht beirren. Ich sehe, was ich sehe. Wenn ich den deutschen Nationalismus kritisch betrachte, warum soll ich in Deutschland den türkischen Nationalismus akzeptieren?

Wer hier lebt, möge sich mit Deutschland identifizieren?

Mit diesem Gemeinwesen, mit dem Grundgesetz im Rücken, nicht mit der Scharia. Deutschland ist doch kein Hotel, in dem jede Nationalität sich ein Zimmer mieten kann. Wir sind ein solidarisches Gemeinwesen.

Wer sind Sie?

Ein Deutscher libanesischer Herkunft, ohne Zweifel. Ich habe den Doppelpass. Aber ich bin ein Deutscher. Doch ich kann die erste Hälfte meines Lebens auch nicht vergessen. Die existiert in mir, aber die muss ich nicht auch noch meinem Sohn vermitteln. Er ist Deutscher und assimiliert. Das ist keine Katastrophe, das ist ein Gewinn.