: „Verantwortung zum Schutz vor Genozid“
Bericht zur UNO-Reform schlägt neue völkerrechtliche Norm vor, die dem Prinzip der nationalen Souveränität gleichgestellt wird. Zur Umsetzung soll der Sicherheitsrat notfalls auch militärische Maßnahmen beschließen können
GENF taz ■ Die Souveränität der Nationalstaaten, ihre territoriale Unverletzlichkeit und das Verbot der äußeren Einmischung in so genannte innere Angelegenheiten von Staaten – all das gehört zu den Gründungsnormen der UNO und den wichtigsten Eckpfeilern des Völkerrechts. Doch seit Ende des Kalten Krieges wurde in einer Reihe von Ländern militärisch interveniert mit der Begründung, Völkermord oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen zu beenden oder zu verhindern.
Die Glaubwürdigkeit dieser Begründung war von Fall zu Fall sehr unterschiedlich – und abhängig davon, wer jeweils intervenierte und ob die Intervention mit oder ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrates erfolgte. Der Kosovokrieg der Nato diskreditierte die Idee einer Intervention aus „humanitären Gründen“ für viele BeobachterInnen sicher am stärksten. Wäre die Intervention 1994 in Ruanda erfolgt und hätte sie den Völkermord an fast einer Million Menschen verhindert, hätte dies wohl kaum jemand kritisiert. Im aktuellen Fall Darfur stellen sich all diese Fragen erneut – und zum Teil noch komplizierter als in den vorangegangenen Konfliktszenarien.
Auf dem Erfahrungshintergrund der letzten 14 Jahre empfehlen die 16 AutorInnen des Berichtes „Eine sichere Welt: Unsere gemeinsame Verantwortung“ zur Stärkung und Reform der UNO (siehe taz vom 30. 11.) die Schaffung einer neuen völkerrechtlichen Norm: Alle 191 UNO-Staaten sollen ausdrücklich ihre „Verantwortung zum Schutz“ ihrer BürgerInnen anerkennen vor „Genozid und anderen Formen von Massenmord, ethnischen Säuberungen oder schweren Verstößen gegen das internationale humanitäre Recht“.
Diese „Verantwortung zum Schutz“ sollte der Souveränität der Staaten und dem Prinzip der territorialen Unverletzlichkeit gleichgestellt werden. Der Bericht beruft sich dabei auf die Präambel und Artikel 1 der UNO-Charta von 1945. Darin wird als Ziel der Weltorganisation nicht nur die „Bewahrung von Frieden und internationaler Sicherheit“ formuliert, sondern auch die „Förderung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten“ – die dann 1948 in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ konkreter ausformuliert wurden. Notfalls, heißt es in dem Bericht, müsse der Schutz elementarer Menschenrechte Vorrang haben vor den Prinzipien der Nichteinmischung in „innere Angelegenheiten“ und der territorialen Unverletzlichkeit. Nämlich dann, wenn ein Staat „nicht in der Lage oder nicht willens ist“, seine „Verantwortung zum Schutz“ seiner BürgerInnen wahrzunehmen.
Für diesen Fall müsse die UNO und ihr Sicherheitsrat diese Verantwortung übernehmen – „vorzugsweise“ durch den Einsatz „politischer und diplomatischer, humanitärer, menschenrechtliche und polizeilicher Instrumente“. Scheitern all diese Instrumente, solle der Sicherheitsrat „als letztes Mittel“ aber auch den Einsatz militärischer Gewalt beschließen können. Für die Legitimität solcher vom Sicherheitsrat beschlossener militärischer Einsätze benennt der Bericht fünf Bedingungen: Ernsthaftigkeit der Bedrohung, angemessenes Ziel, vorherige Ausschöpfung aller nicht militärischen Mittel, angemessener Einsatz militärischer Mittel und eine vorherige Abwägung möglicher Konsequenzen.
Die AutorInnen übernehmen mit diesen Vorschlägen weitgehend die Empfehlungen des Reports „Responsibility to Protect“, den eine internationale Kommission unter Vorsitz des kanadischen Ex-Außenministers Lloyd Axworthy 2001 vorgelegt hatte. ANDREAS ZUMACH
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