: Zivile Opfer waren vermeidbar
Streubomben töteten oder verletzten laut Human Rights Watch mehr als 1.000 irakische Zivilisten. Auch Schläge gegen Führung trafen Unbeteiligte
VON BEATE SEEL
Iyad Jassim Ibrahim, ein 26-jähriger Zimmermann aus Basra, lag am 23. März im vorderen Zimmer seines Hauses im Bett und schlief, als die britische Armee in seinem Stadtviertel Streubomben einsetzte. Er wurde von Schrapnell getroffen, verlor das Bewusstsein und starb wenig später im Krankenhaus. Zehn seiner Angehörigen, die sich ebenfalls im Haus aufhielten, wurden verletzt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite traf es drei Kinder. Der zwölfjährige Ahmad Aidan Malih Hoshon und seine Schwester Fatima, vier Jahre alt, erlitten schwere Unterleibsverletzungen; ihr Cousin Muhammed, 13, wurde an den Füßen verletzt.
In Nadschaf wurden in der Nacht des 28. März etwa 36 Menschen durch Streubomben getötet. „Der Tag der Bombardierung war ein schrecklicher Tag. Es gab nicht genug Platz für die Toten. Viele lagen in der Lobby des Krankenhauses. Später kamen Angehörige und holten sie ab. Die Regierung beerdigte die Unbekannten auf den Friedhöfen“, sagt Safa al-Umaidi, Direktor des Krankenhauses von Nadschaf.
Dies sind nur zwei von zahlreichen Beispielen, die die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in ihrem Bericht über die zivilen Opfer der Kriegsführung im Irak nennt, der heute veröffentlicht wird. Ein Team der Organisation hielt sich zwischen dem 29. April und dem 1. Juli im Land auf und führte mehr als 200 Interviews mit Überlebenden, Angehörigen von Opfern, Ärzten sowie amerikanischem und britischem Militärpersonal. Ein Ergebnis: Der Einsatz von Streubomben in dicht besiedelten Gebieten, vor allem durch Bodentruppen der US-geführten Koalition, führte dazu, dass über 1.000 Zivilisten getötet oder verletzt wurden – mehr als durch alle anderen Kriegsmittel, die eingesetzt wurden. Amerikanische und britische Streitkräfte verwendeten bis zu 13.000 Streubomben, die etwa 2 Millionen Submunitionen enthielten. Besonders tückisch: nicht explodierte Submunitionen – also Blindgänger – verwandeln sich de facto in Landminen. Sie stellen auch nach Kriegsende noch eine Gefahr dar, besonders für Kinder, die die glänzenden Dinger mit einer Schleife am Ende aufheben, um damit zu spielen.
HRW attestiert der Kriegskoalition, dass sie sich bemüht habe, zivile Opfer zu vermeiden, und die Streubomben einsetzte, um sich zu verteidigen. Auch verbietet das internationale humanitäre Völkerrecht nicht grundsätzlich das Töten oder Verwunden von Zivilisten in Kriegen. Allerdings sind die Soldaten verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um zivile Opfer zu vermeiden, beispielsweise durch die Evakuierung der Bevölkerung aus Kampfzonen. Außerdem schreibt das Völkerrecht vor, dass von unverhältnismäßigen Angriffsmitteln abgesehen werden muss, besonders dann, wenn die vorhersehbare Zahl ziviler Opfer die Bedeutung des militärischen Ziels überschreitet.
Da Streubomben aufgrund der hohen Zahl der Blindgänger eine Waffe sind, die in ihrer Wirkung unverhältnismäßig und wahllos ist, fallen sie nach Einschätzung des Roten Kreuzes und von Menschenrechtsorganisationen unter die zu ächtenden Waffen. Ausdrücklich verboten wie etwa die Antipersonenminen sind sie jedoch nicht. Daher stellen sich die USA auf den Standpunkt, dass sie erlaubt sind. HRW fordert daher in seinen abschließenden Empfehlungen, dass der Einsatz von Streubomben so lange suspendiert wird, bis die Rate der Blindgänger deutlich reduziert wird und unter einem Prozent liegt – was einem De-facto-Verbot gleichkommt. Derzeit liegt die Rate bei etwa 5 Prozent. Dies entspricht 90.000 Blindgängern bei allen von den USA im Irak eingesetzten Streubomben.
Ebenfalls gegen Grundprinzipien des Völkerrechts verstieß die irakische Kriegsstrategie. Das betrifft vor allem den Einsatz so genannter menschlicher Schutzschilde. In Nadschaf beispielsweise versteckten sich Angehörige der Sondereinheit Fedayin zwischen den Häusern und jagten Frauen und Kinder auf die Straßen, wie Yusif Sahib Jawad, ein 29-jähriger Taxifahrer, berichtet. Ein anderer Fall, den er beobachtete, betraf ein Auto mit Angehörigen der Miliz der Baathpartei. Als die Milizionäre einen US-Hubschrauber am Himmel sahen, fuhren sie neben ein Fahrzeug, in dem eine Familie saß. Aus dem Hubschrauber wurde gefeuert, und sieben Mitglieder der Familie kamen ums Leben. Zu den völkerrechtswidrigen Maßnahmen gehörten auch der Missbrauch der Embleme des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds, die Verwendung von Antipersonenminen und die Unterbringung von militärischen Objekten in Moscheen und Krankenhäusern. Außerdem machte die irakische Militärpraxis, Zivikleidung bei Angriffen zu tragen, eine Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten unmöglich.
Zahlreiche Menschen kamen auch bei den 50 gescheiterten Versuchen der USA ums Leben, im Rahmen der so genannten Enthauptungsstrategie hochranige irakische Funktionäre umzubringen. Dies ist zwar nach internationalem Recht nicht verboten, doch muss der Schutz der Zivilbevölkerung gewährleitet sein. Dies war jedoch nach dem Bericht von HRW nicht der Fall. Die Strategie war darauf gerichtet, Satellitentelefone hochrangiger irakischer Führer abzuhören, um deren Aufenthalt mit Hilfe bestehender Geheimdienstinformationen zu ermitteln. Doch das US-Militär konnte seine Ziele in bevölkerten Gebieten nur in einem Umkreis von 100 Metern lokalisieren, schreibt HRW.
„Jedes zivile Opfer im Krieg stellt eine menschliche Tragödie dar“, kommentiert Kenneth Roth, Direktor von HRW, den Bericht. „Sich nur auf die genaue Zahl der Getöteten zu konzentrieren, verfehlt jedoch den Punkt. Der Punkt ist, dass das US-Militär diese Mittel der Kriegsführung nicht hätte anwenden dürfen.“