piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Bank gewinnt immer

Arm sein ist nicht leicht, reich werden sogar noch schwerer. Marc Brost und Marcus Rohwetter erzählen vom Unvermögen der Vermögenden

VON ULRIKE HERRMANN

Sind Sie allein stehend und haben eine Kapitallebensversicherung? Reingefallen. Für Sie wäre ein schlichter Sparvertrag günstiger. Denn meist ist es für Singles ohne Angehörige sinnlos, auch noch für den Todesfall vorzusorgen. Sitzen Sie im Büro und haben eine Unfallversicherung? Falsch. Wichtiger wäre eine Berufsunfähigkeitsversicherung, denn ein Viertel aller Arbeitnehmer muss den Job krankheitsbedingt schon vor dem Rentenalter verlassen. Besitzen Sie eine Haftpflichtversicherung? Wenn nicht, sollten Sie sich sofort um eine Police kümmern. Und schließlich: Wie geht es Ihren Aktien? Wahrscheinlich haben sie nicht viel Freude gemacht in den letzten Jahren.

Es tröstet allerdings, dass man nicht allein ist mit seinem Unverstand. „Wir alle sind finanzielle Analphabeten“, lautet die Kernthese der Zeit-Redakteure Marc Brost und Marcus Rohwetter. Nicht nur Laien scheitern immer wieder beim Reichwerden, sondern – viel beunruhigender – auch Bankprofis und Analysten.

Die Gründe sind nur allzu menschlich; sie heißen Gier, Scham und Selbstüberschätzung. So war es nackte Gewinnsucht, die zahllose ehrgeizige Steuersparer bewegte, etwa 40 Milliarden Euro in wertlose Ost-Immobilien zu investieren. 30 Milliarden Euro dürften für immer verloren sein. Scham wiederum verhindert, dass sich Anleger frühzeitig von Aktien trennen, die Kursverluste buchen. Und schließlich sind wir blind für unseren Herdentrieb, der uns an völlig unrealistische Gewinne glauben lässt – nur weil alle anderen auch dran glauben. Die Quittung: Bei den jüngsten Kursstürzen haben sich weltweit mehr als 12 Billionen US-Dollar in Luft aufgelöst.

Nahe liegend wäre nun, sich auf die Ratschläge der knapp 500.000 Versicherungsvertreter in Deutschland zu verlassen – oder den etwa 100.000 Berater bei Banken, Sparkassen und Finanzdienstleistern zu vertrauen. Doch sie sind „falsche Freunde“, die eigene Interessen verfolgen. Als verlängerte Vertriebsabteilung der Banken haben sie Sollzahlen zu erbringen. Sehr anschaulich schildern Brost und Rohwetter die Routine: Montags wird als Losung ausgegeben, welcher Fonds zu verkaufen ist – freitags wird kontrolliert, welcher Mitarbeiter am erfolgreichsten war. Auch das Internet hilft nicht weiter, denn es „ist nichts anderes als ein zusätzlicher Vertriebskanal für Banken und Versicherungen“.

Es ist wie beim Roulette: Die Bank profitiert immer. Schließlich kassiert sie auch dann Provisionen und Depotgebühren, wenn mit den Aktien Verluste erwirtschaftet wurden.

Weiträumig sichern sich die Banken gegen Kundenbeschwerden ab. Gezielt versuchen die Institute, die Rechtsprechung zu beeinflussen, etwa in Immobilienfällen. Der Trick: Die Interessengemeinschaft Frankfurter Kreditinstitute „gehört zum Herausgeberkreis der Wertpapier-Mitteilungen, die eine einflussreiche juristische Fachzeitschrift gleichen Namens verlegt“. Und der oberste Justiziar der HypoVereinsbank wiederum bearbeitet gleichzeitig das „Bankrechts-Handbuch“.

Auch die Medien sind keine Hilfe, denn sie haben „die Analysten zu dem gemacht, was sie eigentlich nie sein sollten: Anlageberater für Kleinanleger“. Allzu gern werden die Einschätzungen der Experten zitiert; auf ihre Verflechtung mit den großen Banken wird nur selten hingewiesen. Auch wird fast nie darauf hingewiesen, dass Analysten eigenartigerweise eine Aktie kaum je negativ einschätzen.

Noch gilt es als unfein, öffentlich über Geld zu sprechen. Brost und Rohwetter fordern, dieses Anstandsschweigen zu durchbrechen. Kinder sollten wissen, was ihre Eltern verdienen. Zudem müsste der Umgang mit den eigenen Finanzen Schulfach werden.

Manchmal allerdings merkt man dem Werk an, dass es ein Buch werden sollte und keine Broschüre. Beispiele werden ausgewalzt, es kommt zu Redundanzen. So begegnet man mehrmals dem Tipp, „selbstkritisch zu sein“. Oder es wird eine Reportage über eine Finanzaussteigerin abgedruckt, die man genau so schon in der Zeit gelesen hat. Auch der zwölfseitige Exkurs über die USA ist entbehrlich – lautet doch die simple Kernerkenntnis in diesem Kapitel: „Viele Menschen besitzen Aktien und verstehen trotzdem nichts von Geld.“

Die meisten Leser dürften erwarten, nun endlich Tipps zu erhalten, wie man sein Vermögen mehrt. Doch mit konkreten Ratschlägen halten sich die Autoren zurück. Das entspricht dem Untertitel. Brost und Rohwetter beschränken sich darauf, zu beschreiben, „warum wir beim Reichwerden scheitern“. Bei ihnen geht es um ein „großes Unvermögen“, nicht um Vermögen.

Vielleicht ist reich werden aber gar nicht so schwierig. Das Deutsche Institut für Altersvorsorge hat ermittelt, dass Frauen besser mit Geld umgehen als Männer. „Denn sie investieren seltener in Aktien, und wenn, dann nicht in riskante Technologiewerte, sondern in Standardpapiere. Sie schichten ihre Depots nicht so häufig um, was Gebühren spart.“ Am Ende ist ihre Rendite um zwei bis fünf Prozent höher. Einziges Problem: „Frauen haben wenig Lust, aus ihrem Talent zum Reichwerden viel zu machen.“

Marc Brost, Marcus Rohwetter: „Das große Unvermögen. Warum wir beim Reichwerden immer wieder scheitern“. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt. WILEY-VCH Verlag, Weinheim 2003, 184 Seiten, 19,90 Euro