: Einfach rührend wahr
Mit „Lucia schmilzt“ beweist das Schauspiel Hannover Oscar van den Boogaards Bühnentauglichkeit
„Es ist also vorbei?“ So geht es meist los. Eine scheue Frage, ein mutiger Vorstoß. Eine zaudernde Antwort. „Ich weiß es nicht.“ Was sich jahrelang eingespielt hat, läuft als Mechanismus der Vorwürfe ab – getrieben von der Energie der Enttäuschungen.
„Du musst endlich handeln, dich entscheiden. Das dauert schon viel zu lange. Das macht mich verrückt.“ –„Okay, es ist vorbei.“ – „Nein, komm, lass es nicht vorbei sein, wir werden zusammen alt und sterben, gib mir noch eine Chance.“ – „Es ist vorbei, vorläufig jedenfalls.“ Der Anfang vom Ende zum ewig scheiternden Neuanfang – Antje Thoms inszeniert ihn – frisch, frech, fröhlich – als Tanz um halbe Wahrheiten und geteilte Lügen ins Treppenhaus der Cumberlandschen Galerie des Schauspiels Hannover hinein.
Mit „Lucia schmilzt“ ist erstmals ein Werk Oscar van der Boogaards auf einer deutschsprachigen Bühne zu erleben.
Der 1964 geborene Künstler wuchs in den Niederlanden und in Surinam auf, wurde als Galerist und Schriftsteller in Brüssel bekannt. In „Lucia“ und seinen kunstvoll verwobenen Romanen erzählt Boogaard so leicht wie präzise vom Scheitern, wenn das, was man gemeinhin Liebe nennt, gelebt werden soll. Nackt funkelt dabei immer die Leidenschaft durch die sehr genau der Realität abgelauschten Dialogen: Boogaard bekennt sich dazu, ein moderner Romantiker zu sein. Die Liebe triumphiere über jede Konstruktion und Dekonstruktion von Partnerschaft, behauptet er. Und schreibt über die „Frau“ in „Lucia schmilzt“: „Sie glaubt nicht an das Wort Ex-Geliebter, für sie ist jemand ein Geliebter oder er ist es nicht, etwas ist nicht vorbei, nur weil man sagt, dass es vorbei ist.“
Ihr „Ex-Geliebter“, oder eben noch-immer-geliebter „Mann“ weiß: „Über meine Gefühle kann ich nicht entscheiden.“ Alles ist, wie es ist. Es ist also vorbei? Jedenfalls finden sich nach der Trennung folgende Sätze auf ihrem Anrufbeantworter: „Ich halte es nicht mehr aus. Ich bin zerrissen. Können wir nicht auf eine andere Weise zusammen sein?“
Man kennt das, man hasst das, man schätzt es – als Ritual. Hilft es doch dabei, nicht ganz los zu lassen. Locker serviert Boogaard die stotternd irritierte Wiederbegegnung der Getrennten, die Entdeckung alter Nähe, neuer Ferne, aber auch neuer Nähe und alter Ferne. Erfrischend schnell kommen „Mann“ und „Frau“ zur Sache. Mann: „Gibt es einen anderen? Ach, ich will’s auch gar nicht wissen, was ist das für eine Schachtel? Kondome?“ Und „Frau“ denkt auch nur an seine Neue: „Wie alt ist sie? Ist sie gut im Bett?“ Ist das geklärt, wird zärtlich Erinnerungspflege betrieben, bis man sich ein alkoholisches Kaltgetränk ins Gesicht schüttet –und so enthemmt wie entkleidet auf der Designer-Sitzbank landet.
All diese Szenen sind einfach rührend wahr. So macht Boogaards dramatisches Debüt Lust auf mehr. Derzeit werkelt der Autor ein Stipendium in Berlin ab und soll bereits vier weitere Stücke niedergeschrieben haben: in der Strindberg-Strauß-Reza-Fosse-Nachfolge auf der Suche nach dem eigenen Kammerspiel-Ton. Auch ästhetisch bieten die verdichteten Dialog-Collagen viele Möglichkeiten rollenspielerischer Wahrheitsfindung, die von der Regisseurin genutzt werden. Ihre Darsteller Martina Struppek und Wilhelm Schlotterer dürfen sich als irgendwie 40-jährige Schauspieler selbst darstellen. Hinreißend, wenn „Frau“ Struppek im rasenden Wechsel ihre Aufmachung und die Musikzuspielung wechselt, nicht weiß, was sie ihrem „Ex“ darstellen möchte: es ist, wie Boogaard anmerkt, „als gehörte jedes Kleid, jedes Lied zu einer anderen Frau“ und einem „anderen Verlauf des Abends“. Jörg Meier
Lucia schmilzt, Staatstheater Hannover. Aufführungen 21. und 25. 1., jeweils 20.15 Uhr