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Archiv-Artikel

Alles wird schlechter

Wunder der Warenwelt: Das Lebensgefühl der „guten alten Zeit“, zu festlichen Anlässen hoch im Kurs, kann längst käuflich erworben werden

von SARAH KALAGI

„Früher war alles besser“, das ist nicht nur die erste Zeile in einem Song-Klassiker der Toten Hosen. Aus lebenserfahrenen Mündern dringen zuweilen bösartige Bemerkungen über aktuelle Produkte der Konsumgüterindustrie ins Freie. Die Behauptung freilich, dass früher alles belast-, haltbarer und sowieso viel, viel besser war, muss der Spätgeborene stillschweigend akzeptieren. Einwände werden regelmäßig voller Überheblichkeit abgeschmettert: „Hast du damals vielleicht schon gelebt? Nein? Na also!“ Anstatt nun den Gereifteren unter den Lieben zum Fest einen Maulkorb zu schenken, lässt sich ihnen auch symbolisch einer verpassen.

Denn auf ein paar hundert Quadratmetern allein in Hamburg findet man sie ja, die „bessere Zeit“. Es gebe sie noch, „die guten Dinge“*, wirbt da einer von diversen Anbietern für sein breites Angebot an rückwärtsgewandter Warenwelt „mit einer fortschrittsskeptischen Grundhaltung“. Beklagt wird der „dramatische Verlust“ an „Qualität, Langlebigkeit, Reparierbarkeit“ und gar „Geschichtlichkeit“, und der bunten 90er-Jahre-Konsumwelt bescheinigt man den Mut zur brachialen, lärmenden – ja, grellen Hässlichkeit.

Abhilfe verspricht im Alltag „Harris Rasierseife“ im Buchenholztiegel für 24,50 Euro „nach einer Originalrezeptur aus den frühen 20er Jahren mit dezentem Mandelduft“. Süße Erinnerungen an Opium berauschte Nächte und Charleston tanzende Chanteusen mögen da vor Opas Augen aufflimmern. Dazu gibt es für 63 Euro das halbhohle Rasiermesser „Bein“, welches sich „sicher führen“ lässt.

Für glänzende Näschen steht Leclercs „weltberühmter Poudre Dermophile“ für 39,90 Euro bereit. Auf der Basis von „fein zermahlenem Reis“ ist dieser parfumfreie Puder aus dem Jahre 1881 im „hohen Maße fähig, Talg zu absorbieren“. Und besser als jedes profane heutige Rouge ist das „Leichner Wangenrot“ – „so wie es früher war“. Die „dezent nach Rosen duftende Flüssigkeit“ wird seit 1873 in Handarbeit hergestellt und kostet 9 Euro. Selbst 1975 Geborene können sich da plötzlich in einem Déjà-vu wähnen – allerdings aus einem früheren Leben.

Liederlicher Lingerie ist allemal die bewährte Doppelripp-Unterwäsche vorzuziehen, und in dem „schweren und von Hand feuerverzinnten Kupferbrattopf“ aus der alten Schmiede eines normannischen Städtchens (169 Euro) brutzelt die Festtagsköstlichkeit direkt doppelt so gut. Die gibt es auch beim Nostalgie-Anbieter, ob Oldenburger Flugente, Pommersche Gans oder Hohenloher Gockel. „Jetzt bestellen“ – garantiert artgerecht gehalten und – natürlich – antibiotikafrei.

* Zitate aus dem aktuellen Manufactum-Katalog (www.manufactum.de)