: Barbecue der Besserwisser
Experimente der Persönlichkeitsentwicklung am Grips Theater: In „Klasse der Besten“ von Melanie Gieschen wird zwischen Pool und Überwachungskamera hart an der Belastungsgrenze gearbeitet. Ein perfekter Theaterabend
Gibt es den perfekten Theaterabend? Den Theaterabend, der perfekt ist, obwohl man ziemlich unbequem mitten in einer Menge von Menschen sitzt, von denen die Hälfte nörgelt, dass es viel zu eng ist. Der perfekt bleibt, obwohl die Jacke, die man unter dem Sitz hatte deponieren wollen, von dort aus in den Staub unter der Tribüne gestürzt ist. Der so perfekt ist, dass man ihn allein beenden möchte, weil man mit niemandem mehr sprechen will über das, was man gesehen und gehört hat.
Ja. Solche Theaterabende gibt es tatsächlich. Man erwartet sie oft gar nicht, und dann ist man anderthalb Stunden lang erstaunt: dass es so gute neue Stücke gibt wie „Klasse der Besten“ von Melanie Gieschen. Dass jemand diese Stücke so klar und überzeugend inszeniert, wie Werner Gerber das getan hat. Dass es gelingen kann, fünf junge Schauspieler zusammenzubringen, von denen jeder ganz für sich steht, und die einander trotzdem in einer Weise ergänzen, wie es selten ist.
„Klasse der Besten“ ist das vierte Theaterstück der jungen Autorin Melanie Gieschen, die als PR-Beraterin bei einer Medienagentur gearbeitet hat, ehe sie anfing, an der Berliner Hochschule der Künste „Szenisches Schreiben“ zu studieren. Ihre Stücke „Gnadenlos“ und „Die Abzocker“ wurden in den letzten Jahren an verschiedenen Bühnen gespielt; für „Gnadenlos“ hat sie mehrere Auszeichnungen erhalten.
Das neue Stück wurde für das Berliner Grips Theater geschrieben und bringt mit seiner konzentrierten Darstellung von fünf ehrgeizigen Jugendlichen erstaunlicherweise weit mehr zutage als nur deren Schwanken zwischen Karriereträumen und der Sehnsucht nach Freundschaft.
Silke, Krzysztof, Sunny und Adam treffen sich auf Balthasars Einladung hin im schicken Haus von dessen Eltern. Sturmfrei – aber das heißt in dieser „Klasse der Besten“ nicht, dass nun laute Musik, wilde Party und Spaßhaben angesagt wären: Balthasar (Markus Friedmann) hat vielmehr ein gemeinsames Experiment in Sachen Persönlichkeitsentwicklung anberaumt. Was die Schule bietet, reicht jemandem wie Sunny (Laura Leyh) mit ihrem Notendurchschnitt von 1,0 und ihrem Intelligenzquotienten von 157 längst nicht – hier und jetzt soll es um die Vorbereitung aufs wirkliche Leben gehen.
Man hat Literatur mitgebracht: Die politische engagierte Silke (Manja Doering) will über emotionale Intelligenz informieren, der stille Adam (Jörg Westphal) wird von den anderen mit seinem „Steppenwolf“ aufgezogen, der zielstrebige Krzysztof (Falk Berghofer) beschränkt sich auf Internetseiten von den Assessment-Centern großer Firmen. Dass in dieser so unterschiedlichen Auswahl schon die Konflikte vorgezeichnet sind, die im Laufe des Abends zum Ausbruch kommen werden, ist klar: Jeder der fünf ist viel zu sehr Einzelkämpfer, um sich einer Gruppe wirklich unterordnen zu können. Und so kreisen sie denn umeinander auf Isolde Wittkes Bühne, die immer wieder neue Ansichten des palastartigen Hauses mit seinen Überwachungskameras und seinem grünblauen Swimmingpool ausleuchtet. In einem Stressinterview mit Adam gehen die vier anderen bis an die Grenze, ehe die Situation eskaliert; die ernsthafte Silke kommt nicht gegen Sunny an, die in immer neuen Wendungen ihre Überlegenheit demonstriert; und allem Anschein nach hat nicht einmal der Initiator der Übung, Balthasar, noch die Fäden in der Hand.
Dass sich das Stück dennoch nicht auf diese letzten Endes absehbaren Konfrontationen beschränkt, das macht seine Qualität aus. Sunny hat ihren großen Auftritt nicht, wenn sie als divenhafte Pradatussi auf den anderen herumhackt, sondern wenn sie zusammengekauert davon erzählt, wie sehr sie als Kind von einer verständnislosen und ungeduldigen Mutter in ihren Träumereien verunsichert worden ist. Dass die utopische Idee von Freundschaft, die die fünf daraufhin frierend mit einem winterlichen Barbecue auf der Terrasse feiern, trotzdem durch eine erneute Wendung ad absurdum geführt wird, tut dem Stück nur gut: Zum „Dokument der Situation unserer Jugend“, wie Balthasar es einmal nennt, wird die ganze Geschichte tatsächlich erst durch den unerwarteten selbstreflexiven Dreh am Ende, mit dem klar wird, dass das, was man die ganze Zeit für das Leben gehalten hat, im Grunde nur „Material“ gewesen ist.
ANNE KRAUME
„Klasse der Besten“,14.–17. Dezember, 18 Uhr, Grips/Schiller-Theater-Werkstatt, Bismarckstr. 110, 10625 Berlin