Grüne verklagen bayerische Regierung

Im bayerischen Landtag geraten CSU und Grüne wegen der Affäre um die Insolvenz der Schneider Technologies AG aneinander. Nun wird der Ältestenrat eingeschaltet. Und die Parteien treffen sich demnächst vor dem Bayerischen Verfassungsgericht

VON THILO KNOTT

Otto Wiesheu geriet außer sich. Von „moralischem Verfall“ im Landtag sprach der bayerische Wirtschaftsminister. Und denjenigen, den er dafür verantwortlich macht, fragte Wiesheu (CSU), ob es „Aufgabe von Abgeordneten sein kann, Anwälten in unsicheren oder aussichtslosen Anlageverfahren die Daten und Materialien zu besorgen, die sie gern hätten“. Gemeint war Martin Runge. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen machte der Staatsregierung am Mittwoch im Landtag erneut schwere Vorwürfe im Zusammenhang mit der Pleite der Schneider Technologies AG aus Türkheim. Er wirft Wiesheu in der Affäre Schneider „Vertuschung und Verschleierung“ vor. Und dass sich die Sanierungsmaßnahmen der CSU-Regierung als „das erwartete Desaster“ erwiesen hätten. Wiesheu unterstellte Runge deshalb, er würde sich von klagenden Schneider-Aktionären „einspannen“ lassen.

Eingestiegen war die Staatsregierung bei Schneider 1998. Genauer gesagt: Die staatliche LfA Förderbank Bayern, deren Vorsitzender Otto Wiesheu heißt. Die LfA war bei Schneider Hauptaktionärin und hielt zunächst 41 Prozent der Aktien. Zum Zeitpunkt der Insolvenz von Schneider 2002 hielt die LfA als Hauptaktionärin noch 18,18 Prozent. In diesem Zeitraum, in dem der Kurs zeitweise von 10 auf 70 Euro hochschnellte, stieß die Förderbank eine Million Papiere ab. Die Schneider-Töchter Schneider Electronics und Schneider Laser Technologies wurden an die Hongkonger Holding TCL (Preis: 8 Millionen Euro) und Jenoptik (6 Millionen Euro) verkauft. Die Aktie steht derzeit bei 15 Cent – zum Leidwesen vieler Kleinanleger.

Ungeklärt ist bisher nicht nur, ob die LfA Gewinne gemacht hat oder Verluste „in unterer einstelliger Millionenhöhe“, wie Wiesheu behauptet hat. Ungeklärt ist die Rolle der Förderbank bei dem kriselnden Unternehmen überhaupt. Die Schneider-Affäre beschäftigt deshalb nicht nur den Grünen-Abgeordneten Runge, sondern auch die Staatsanwaltschaften in Augsburg und im thüringischen Mühlhausen. In Frankfurt/Main ist noch ein Prozess von Kleinaktionären gegen die LfA anhängig. Eine Journalistin, der die LfA einen Fragenkatalog unbeantwortet zurückschickte, klagt in München auf Auskunft. Selbst die EU-Wettbewerbshüter leiteten ein Verfahren ein. In Brüssel wird überprüft, ob zwei staatlich bayerische Institutionen unerlaubt Beihilfen an Schneider gezahlt haben: zum einen die Bayerische Forschungsstiftung, zum anderen – eben – die LfA.

Auch der Streit zwischen Wiesheu und Runge hat ein Nachspiel: Landtagspräsident Alois Glück (CSU) sah sich gezwungen, in der Causa Schneider den Ältestenrat anzurufen. Grund: Runge hatte eine schriftliche Anfrage in Sachen Schneider an Wiesheu mit dem Vermerk „vertraulich“ versehen. In der Landtagsdebatte wiederum zitierte dann Franz Pschierer (CSU) aus der Anfrage. Eine „Sauerei“ sei das, sagte Runge der taz. „Da gibt man Wiesheu eine vertrauliche Anfrage – und der gibt sie seinen Schergen weiter.“ Wiesheus Sprecher Reinhard Pfeiffer sagte der taz: „Der Vorwurf, Unterlagen seien unzulässigerweise weitergegeben worden, stimmt nicht.“

Damit nicht genug: Die Parteien werden sich demnächst wohl auch vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof treffen. Die Grünen-Fraktion hat diese Woche eine Organklage gegen die Staatsregierung beschlossen, um „gegen mangelnde Transparenz und fehlende Information vorzugehen“, weil Wiesheu „zahlreiche Anfragen falsch beziehungsweise gar nicht beantwortet“ habe. Wiesheu-Sprecher Pfeiffer: „Wir haben die Anfragen, so weit es ging, mehrfach beantwortet.“

Widersprüche zum Engagement der Förderbank beim Türkheimer Unternehmen Schneider gibt es zuhauf. Die LfA hat immer behauptet, sie habe „zu keinem Zeitpunkt die unternehmerische Entscheidung“ (Wiesheu) beeinflusst. In einem Prospekt zur Kapitalerhöhung anno 2000, den die LfA zusammen mit der Investmentbank Lehman Brothers aufgelegt hat, steht dagegen: Die LfA sei in der Lage, „wichtige unternehmerische Entscheidungen, die der Zustimmung der Aktionäre bedürfen, zu kontrollieren und maßgeblichen Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrates zu nehmen“. Darüber hinaus könne sie zusammen mit Lehman Brothers „wesentlichen Einfluss auf die Kursentwicklung der Aktien nehmen“.

Auch personelle Verstrickungen zwischen LfA und Schneider passen nicht zu Behauptungen, die LfA habe von „mangelnder Liquidität“ nichts gewusst. Mit Franz Josef Schwarzmann saß bis zur Insolvenz ein Ex-LfA-Vorstand im Schneider-Aufsichtsrat. Ein solcher war auch Ralf Adam, der 2000 von der LfA kam und den Vorstandsposten bei Schneider übernahm – ebenfalls bis zur Insolvenz. Im Aufsichtsrat saß von 1996 bis 2001 Hans Haibel, der auch Vorsitzender des Stiftungsrates der Bayerischen Forschungsstiftung war. Jener staatlichen Stiftung also, die Schneider 1995 und 1999 Gelder in Höhe von knapp neun Millionen Euro zukommen ließ. Sogar räumlich waren sich LfA und Schneider nahe: Die Firma mietete ein Büro im LfA-Areal in der Münchner Königinstraße.

Ende Januar 2005 wird Schneider die Produktion in Türkheim ganz einstellen. Der TCL-Konzern, der Schneider Electronics übernommen hatte, will künftig in Ungarn und Polen produzieren. Von den 110 Arbeitsplätzen sei jeder Zweite betroffen, hieß es diese Woche. Nur noch ein Vertriebszentrum soll in Türkheim bleiben. In ihrer Blütezeit hatte die Firma 1.500 Mitarbeiter.