: Wenn Linke Rechten helfen
Bei Attac wird über Antisemitismus gestritten. „Fehltritte sind keine Ausnahme“, beklagt Thomas Seibert vom Bundeskoordinierungskreis im Bürgerhaus Deutz
Köln taz ■ „Attac selber ist strukturell offen für rechte Gedanken“, wirft Thomas Seibert selbstkritisch ein. Das Publikum murrt. Die Kölner Aktivisten fühlen sich auf der Veranstaltung „Grenzen der Offenheit“ vom Mitglied des Attac-Bundeskoordinierungskreises missverstanden. Der Attac-Arbeitskreis Antisemitismus hatte für vergangenen Donnerstag ins Bürgerzentrum Deutz eingeladen, um das Verhältnis von Attac zum Antisemitismus zu klären. Seit Januar führt das Netzwerk der Globalisierungsskeptiker darüber heftige Diskussionen. Auslöser war ein Vortrag der Journalistin Yvonne Ridley, die auf der „Attac-Friedenstour“ das Vorgehen Israels gegen die Palästinenser mit dem Holocaust verglich.
Hans Günter Bell, Mitbegründer des Arbeitskreises, ist mit dem Diskussionsstand unzufrieden: „Die, die am dringendsten zuhören sollten, sind nicht gekommen.“ Er fürchtet insbesondere einen unkritischen Umgang mit der Initiative für eine Neue Wirtschaftsordnung (INWO). Klaus Popp, INWO-Mitglied und Anhänger der Freisozialen Union (FSU), dem die Antifa vorwirft, ökofaschistische Ziele zu propagieren, wurde im Oktober von Attac Düsseldorf eingeladen. Alwine Schreiber-Martens, Mitglied des INWO-Bundesvorstandes, ist aktiv bei Attac-Köln.
Diese „Fehltritte“ seien „keine Ausnahme“, weiß Seibert . In München seien zehn Neo-Nazis auf einer Demonstration von Attac-Mitgliedern verteidigt worden. In Frankfurt am Main seien Rechte im Bündnis gegen das Cross-Border-Leasing aktiv. Seibert hält das für falsch verstandene Solidarität unter den politisch Aktiven: „Die Rechten verfolgen nur scheinbar dieselben Ziele. Die Linke muss die Verbindung zwischen dem Kampf um soziale Rechte und Migration in den Mittelpunkt rücken.“ Nur so könne eine klare Abgrenzung zu rechten Strömungen erfolgen.
Die Aktivisten gehen in Verteidigungsstellung. „Warum sollen wir uns die Begriffe nehmen lassen“, klagt Heinrich Piotrowski, aktiv bei Attac Köln. So sei das in globalisierungskritischen Zusammenhängen genutzte Wort „Finanzmärkte“ schließlich nicht per se antisemitisch. Eine junge Teilnehmerin pflichtet ihm bei: „Warum nutzen wir die Vielfalt nicht für die Linke?“
Ob mit einem solchen Bekenntnis zur Pluralität bereits Tür und Tor für einen latenten Antisemitismus aufgestoßen werden, ist in Attac-Kreisen umstritten. Die Debatte vom Donnerstag legte diese Differenzen offen. „Wie positionieren wir uns zu regionalen Stoffkreisläufen und ökologischer Produktionsweise“, fragte eine Diskutantin. „Die Tatsache, dass Nahrung ‚vergiftet‘ sein könnte, weckt bei mir schon antisemitische Assoziationen.“ Seibert relativiert: „Bionahrung ist nicht per se abzulehnen. Aber ich möchte auch nicht im Stadtviertel sitzen und häkeln.“ DIRK KRÜGER