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Archiv-Artikel

press-schlag Früher war das Leben wesentlich Hertha

Wenn einstige Spitzenspiele der Bundesliga zu Abstiegsduellen geraten und Bayern zu Bleiern München wird, ist alle Theorie in erster Linie grau

„Wieso hat Hertha BSC plötzlich graue Anzüge? Die waren doch immer blau-weiß!“ So sprach Tochter Milena (5) am Samstag, als wir im DSF den Bundesliga-Vorbericht mit Aufnahmen aus dem Training sahen. Tja, das sind die Augenblicke der Wahrheit, die einen als Vater fordern – und einem Antworten entlocken, die man nie geben wollte. Aber was soll man machen?

Ja, Milena, früher war alles besser! Das gilt nicht nur für entferntere Zeiten wie zum Beispiel 1977, als die Paarung des kommenden Dienstags – Achtzehnter gegen Sechzehnter – noch das dramatische, eine Wiederholung erfordernde Pokalfinale war (damals als trübe Vorahnung bereits im Aufgebot: Gerd Grau), und zugleich das Duell des Meisters der folgenden Spielzeit gegen den Dritten. Seufz!

Besser war alles auch noch zu Beginn dieser Saison. 1. Das Wetter. 2. Herthas Perspektiven: Damals sah der erfahrene taz-Sportchef sie noch als Titelkandidaten und nicht, wie vorgestern an dieser Stelle in Vorahnung des grauen 1:1 gegen 1860, als „hoffnungslosen Fall“. 3. Das Selbstbewusstsein der Bayern: Im August konnten sie vor Kraft kaum laufen und sahen sich als kommenden Champions-League-Sieger. Jetzt sieht ihr Gang zwar immer noch so aus, aber das liegt daran, dass sie seit der Auslosung des Achtelfinals zumindest die Europacup-Hosen gestrichen voll haben. So viele CeREALien können sie bis Februar gar nicht fressen, damit aus Bleiern München wieder Bayern München wird.

Und das muss der Liga Sorgen bereiten, denn eine Bayern-Mannschaft, die im Februar und März gleich zweimal Abschied feiern muss – am Tivoli und im Bernabeu – wird unbekümmert nach der Meisterschale greifen. Zumal die beiden letzten Spieltage der Saison wie geschaffen sind für die Lederhosen, die auf nationaler Ebene ja in puncto Nervenkostüm und Dusel allen anderen überlegen sind, wie am Samstag wieder zu sehen war.

Und so wird Leverkusen am 33. Spieltag mit dem 1:1 im Weserstadion Werders letzte Ambitionen zerstören, dann aber am 34. Spieltag gegen befreit aufspielende Stuttgarter – die werden nämlich am 33. Spieltag daheim gegen Bayern ihre letzte Chance vergeigt haben – kläglich verlieren und damit endgültig den Weg für die Münchener freimachen: Die spielen zu Hause 5:0 gegen den SC Freiburg, der zu diesem Zeitpunkt längst für den Uefa-Cup qualifiziert bzw. abgestiegen ist.

Was dazwischenkommt, ist überwiegend wurscht. Absteigen werden Eintracht Frankfurt, der 1. FC Köln und 1860 München. Oder eben Freiburg. Und Hertha wird 14. Grau ist alle Prophetie.

OLIVER THOMAS DOMZALSKI