: Sehnsucht nach dem Teufel
Jetzt scheint klar: Saddam ist das Böse, Bush das Gute und Zivilisierte. Stimmt das? Nein. Aber es wäre halt so schön einfach
VON CHRISTIAN SEMLER
Nach dem Zerfall religiöser Gewissheiten ist guter Rat teuer, wenn wir des Bösen habhaft werden, vor allem, wenn wir es personalisieren wollen. Luzifer hat sich längst verabschiedet, und in objektiven Strukturen, so widersinnig und menschenfeindlich sie sich auch auswirken, kann der Leibhaftige nicht dingfest gemacht werden. Um diesem Übel abzuhelfen, ist, wie wir wissen, George W. Bush keine Mühe zu groß. Jetzt steht, nach der Festnahme Saddam Husseins, endlich wieder das Gestalt gewordene Böse vor uns. Jetzt endlich können wir aufatmen. Denn Saddam, das ist kein x-beliebiger Schurke, sondern das Fleisch gewordene Gesamtböse.
Die Personifizierung des Bösen ist kein leichtes Geschäft, und in Aussicht genommene Kandidaten entpuppen sich oft als ungeeignet, wie uns jüngst die Beispiele Ghaddafis und Öcalans lehren. Sie, die immer schon höchstens als Unterteufel taugten, sind mutwillig von der Achse des Bösen abgesprungen. Jetzt also gilt es, ein Maximum an Psychokapital aus dem eingefangenen Bösen zu ziehen. Jetzt wird es möglich, die personifizierte Barbarei (Saddam, das Böse) mit der personifizierten Zivilisation (Bush, das Gute) zu konfrontieren. Jede Frage, ob vielleicht zwischen diesen beiden Zuständen im Zeichen des globalen Kapitalismus ein unheilvoller Zusammenhang besteht, erübrigt sich. Und das Beste: Saddam sitzt im Käfig. Wir können das Böse gefahrlos angaffen.
Einst mühte sich die Philosophie, den Teufel in uns selbst zu verorten, als Selbstsucht, nackte Selbstliebe, als Weigerung, den je anderen Mitmenschen nur als Mittel zu sehen, nicht als Zweck in sich selbst. Die Bösartigkeit geschah nach ihrer Meinung meist aus Schwäche, den eigenen Charakter rational „zu gründen“. Wenn das Verderbte aber bewusst gewollt wurde, so haben wir, um mit Kant zu sprechen, das „radikal Böse“ vor uns. Wir sind aufgerufen, aus unserem Material, dem krummen Holz, das Bestmögliche zu schnitzen. Viel später hieß das dann in Wien: „Aus Es werde Ich“. Die Aufklärer rechneten allesamt mit der dunklen Seite in unserer Natur. Gesellschaft und Staat sollten ihrer Meinung nach so beschaffen sein, dass sie selbst für eine Welt von Teufeln, solange sie sich nur von ihrer Vernunft leiten ließen, annehmbar waren. Auch die marxistische Theorie in ihrer menschenfreundlichen Variante setzte nicht den „neuen Menschen“ für das Gelingen des Sozialismus voraus, sondern begnügte sich mit dem Projekt einer rationalen Organisation des „Werkeltagslebens“, wo Aggression und Triebhaftigkeit an destruktivem Potenzial einbüßen. Die Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ postulierte keine höherwertige Moral. Sie machte schlicht darauf aufmerksam, dass der imperialistische Krieg alle Beteiligten, Täter wie Opfer, entmenschlicht.
Ausschlaggebend für die Konstruktion Saddams als Ebenbild Luzifers ist die Verschiebung des Bösen aus uns selbst und aus unserem Zivilisationskreis in eine Gegenwelt, jetzt vor allem die des Islam. Plötzlich ist keine Rede mehr davon, wie nachhaltig gerade die Machtelite um George Bush den islamischen Fundamentalismus genährt hat. Was wir alle verabscheuen, die systematische Folter, die Massenmorde an Zivilisten, die Völkermorde, Erniedrigung, Hass, dies alles wird jetzt „dem Anderen“ zugeschrieben, in einer Gegenwelt verortet. Nicht etwa, dass das Regime der Baath-Partei im Irak nicht all dieser Verbrechen schuldig wäre, steht in Frage, sondern der Manichäismus, der „das Böse“ im personalisierten politischen Feind endgültig dingfest zu machen glaubt. Weshalb, wer auf den erschreckenden Abbau demokratischer Rechte im Gefolge des 11. September aufmerksam macht, wer auf Guantánomo verweist, nur allzu schnell der Seite des internationalen Terrorismus zugeschlagen wird.
Der Teufel kann unterschiedliche Gestalt annehmen, und Bush wird von diesem Umstand profitieren. Seine Reinigungsaktion kann sich, wenn Saddam ausgedient hat, den neuen Teufeln zuwenden, deren Namen wir Gott sei Dank schon kennen. Aber anders als in der manichäischen Theologie wird der Kampf des Guten gegen das Böse nicht ewig währen; wir alle werden noch Zeugen des endgültigen Triumphs des Guten werden.
Mit dieser Vision ist natürlich unvereinbar, dass Saddam dem Internationalen Strafgerichtshof überstellt wird, dem jüngst gegründeten UN-Institut, das sich nicht zur Staffage des Bush’-schen Triumphalismus machen ließe und von dem ein Minimum an rechtsstaatlichen Verfahren zu erwarten wäre. Wenn uns doch nur, im Moment allgemeiner tiefer Befriedigung, etwas Distanz und Ironie zur Seite stünde, wie in jenem Witz aus dem Zweiten Weltkrieg, wo zwei Emigranten ein hutzliges Männchen mit Schlapphut auf der anderen Straßenseite sehen. „Wer ist das nur“, sagt der eine, „der kommt mir bekannt vor.“ „Nebbich“, sagt der andere, „das ist der Herr Hitler.“