: Truthahn auf dem Bauch
Ohne Bewusstsein auf jung geschminkt: Das Deutsche Nationaltheater Weimar will sich mit der deutschen Erstaufführung von Elfriede Jelineks „Bambiland“ auf Kriegsgebiet wagen und scheitert
VON HARTMUT KRUG
Als kämen sie aus ihrer Mitte, so stehlen sich vier Schauspieler vor die junge Zuschauerschar im Kesselsaal des e-werks in Weimar. Da stehen sie nun vor uns, hinter sich eine schmuddelig marode Wand mit rostigen Leitungen, und wissen nicht so recht, was sie hier sollen und wollen. Warum sie Briefe aus den Taschen ziehen und daraus Zitate aus „Die Perser“ von Aischylos vortragen, um einzutauchen in ungestaltete und ungegliederte Textflächen aus Elfriede Jelineks „Bambiland“, wird während des kaum 75 Minuten langen Abends nie klar.
Als Christoph Schlingensief im vergangenen Jahr am Wiener Burgtheater behauptete, „Bambiland“ uraufzuführen, fügte er nur Schnipsel des durch die Bildberichterstattung der Amerikaner über den Krieg im Irak mäandernden Jelinek-Textes in eine Wiederholung seines „Atta Atta“-Volksbühnenprojektes ein. Zwar hatte die Autorin ihren Text zur kostenlosen Benutzung ins Internet gestellt und sich Schlingensief als „Überwältigungsregisseur“ gewünscht, doch von Über- oder Bewältigung blieb nichts übrig in einer Aufführung, in der sich Schlingensiefs Theaterfamilie vor allem mit Bayreuth, Wien und den Kurzfilmtagen Oberhausen beschäftigte, also mit Schlingensiefs Kunstproduktion und deren Rolle in der Gesellschaft.
Erst durch den Nobelpreis an die Autorin haben sich zwei Theater anregen lassen, Jelineks Stück, in dem der Irak als virtueller Kriegsspielplatz für „Depperwarepartys“ der Amerikaner erscheint, auf den Spielplan zu setzen. Einen Tag nach der deutschen Erstaufführung in Weimar versucht sich Konstanz an dem Stück. In Weimar scheitert man vollständig und kläglich an einem Text, der zwar routiniert, aber auch sehr schwach wirkt. Jelineks Sprachbewegung und ihre auktoriale Stimme kennen darin weder taktisch noch ironisch entlarvende Gegenstimmen. In ihm ist eine feste Haltung genau so eingebettet, wie die Journalisten es im Irakkrieg waren, deren (Fernseh-)Berichterstattung die Autorin kritisiert. Sprache wird ihr vom Mittel der Entlarvung zu einem des Einverständnisses, und Sätze und Wörter werden in eine Bewegung gesetzt, die allenfalls vom Bonmot zum Kalauer reicht.
Dieser komplexe und komplizierte Text braucht einen zugleich kühnen wie souveränen Zugriff. Stephan Märki, der Intendant des Deutschen Nationaltheaters, hat das weniger als 100 Zuschauer fassende e-werk zur experimentellen Spielwiese für junge Theatermacher ernannt. Doch die tollkühne Entscheidung, den vierundzwanzigjährigen Regisseur Marco Storman in seiner ersten Regiearbeit mit Jelineks „untheatralischer“ Vorlage zu betrauen, zahlt sich nicht aus. Weder gelingt es Stormann, mit seiner radikalen Kürzung aus der Vorlage ein dramaturgisch einsichtiges Thema zu prägen, noch vermag er allgemeine spielerische Situationen oder Ansätze zu Rollen- und Figurenprofilen für die Darsteller zu finden. Schlimmer noch: Schon Jelineks reiner Text wird vernachlässigt, indem so leise gesprochen wird, dass er akustisch oft unverständlich bleibt. So kommt der Zuschauer kaum hinein in Jelineks virtuose Satzschleifen, die selbst einen Leser beständig zwingen, Sätze mehrfach zu lesen.
Die Behauptung im Spielplanleporello, die Darsteller zeigten einen Sportler, einen Banker, eine Autorin und eine Arbeitslose bei einem Workshop für angehende Kriegsteilnehmer, wird auf der Bühne in keinem Augenblick eingelöst. Es werden statt szenischer thematische Bilder entwickelt. Da redet man über Wüste und Neger und wüste Neger und rassistisch über Religion (Feindbild). Viel wird mit ausgestellter Lüsternheit und sexueller bis pornografischer Metaphorik über zielgenau eindringende Waffen räsoniert (Waffenbild). Aus kleinen, funktionalen Medienkoffern holt man Eierhandgranaten für einen Wettlauf, und eine Tafel wird einmal für Zahlendemonstrationen genutzt, bis sie später, waagerecht gekippt, als Esstafel dient für einen gefesselten Abu-Ghraib-Gefangenen mit Kapuze, dem ein Truthahn auf den Bauch gelegt wird. Das sind aber dann schon szenische Höhepunkte einer Inszenierung, die zum Schluss die Stimme der Medien wie eine Abenteuerfilmfigur auftreten lässt. Als Ankurbler der Propagandamaschine über nackter Brust eine Sirene gehängt, wendet der sich ans Publikum: Wir haben die Situation unter Kontrolle. Statt Jelineks nüchternem Satz „So. Jetzt ist auch das erledigt“, entlässt er uns mit einem selbstsicher stolzen „Alles wird gut.“
Hoffentlich kann man das von folgenden „Bambiland“-Inszenierungen sagen. In Weimar aber ging alles schief und nichts wurde gut.