: Für grenzenlose Bildung
Wem nutzt eine Elite überhaupt? Hauptsächlich der Elite selbst. Bildung muss neu gedacht werden
„Ihr seid die zukünftige Elite Deutschlands!“ – Dies wird uns an der Universität bereits ab dem ersten Semester eingetrichtert. Wir sollen uns glücklich schätzen, zu den Gewinnern zu gehören, und uns ständig darüber im Klaren sein. Doch bereits in unserer Kindheit werden die Weichen gestellt, welchen Platz in dieser Gesellschaft wir einnehmen werden. In die Universität kommen nur die wenigsten – die Privilegierten. Es gibt eine Reihe von Faktoren, die beeinflussen, welchen Schulabschluss mensch macht und welcher Notendurchschnitt dabei erreicht wird. Ausschlaggebend hierfür ist die soziale Herkunft. Schon als Kinder wird uns Bildung von den Eltern vermittelt, in der Schule stellt sich dann die Frage, wie sehr Eltern ihre Kinder fördern können. Dies ist meist unmittelbar verknüpft mit den finanziellen Möglichkeiten.
AsylbewerberInnen oder Menschen ohne Papiere stehen dabei am schlechtesten da, weil ihnen der Zugang zu Bildung praktisch verweigert wird: das Fehlen von Deutschkenntnissen verschärft die Problematik. Bildung ist also geknüpft an sozialen Status sowie finanzielle Mittel und beinhaltet vor allem eine gesellschaftliche Ausgrenzungslogik. Allerdings greift die gegen Ausgrenzung gerichtete Forderung einiger Studierender nach Abschaffung des Numerus clausus (also der Zugangsbeschränkung an Universitäten in Bezug auf die Durchschnittsnote des Abiturs) zu kurz.
Der Numerus clausus dient nur als eine Verschärfung der ohnehin vorhandenen Ausgrenzungskriterien. Die meisten Studierenden kommen aus Mittelstandshaushalten und wollen dort auch wieder hin. Gleichzeitig beginnen nur wenige Kinder aus Arbeiterfamilien ein Studium. Noch weniger führen es zu Ende. MigrantInnen oder Menschen ohne Papiere sind de facto vom Studieren an der Universität ausgeschlossen.
Ausgehend von diesen Überlegungen muss die Forderung nach einem ausgrenzungsfreien Studium tiefer ansetzen. Da der Zugang zu Bildung hauptsächlich von der Zugehörigkeit zu sozialen Schichten abhängt, werden dadurch ebendiese Schichten immer wieder von neuem reproduziert. Hierbei stellt sich die Frage nach dem Ziel von Bildung. In der kapitalistischen Gesellschaft hat Bildung das Ziel, Menschen für den Arbeitsmarkt verwertbar zu machen. Beispielsweise durch Studiengebühren (aber auch durch Bafög-Regelungen) wird auf die Studierenden Druck erzeugt, ihr Studium schnellstmöglich abzuschließen.
Es wird nur das Wissen eingetrichtert, das mensch für den späteren Beruf benötigt. Wie selbstverständlich steht die Frage nach dem Marktwert unseres Lernens immer im Raum. Diesen Marktwert müssen wir uns durch Leistungsnachweise bescheinigen lassen. Mit Bildung, die nicht „bescheinigt“ ist, kann mensch nichts anfangen. In aller Deutlichkeit wird dieser „Bescheinigungswahn“ sichtbar am Beispiel von MigrantInnen. Viele haben in ihrem Herkunftsland studiert und bekommen hier nicht die Chance, ihre Interessen fortzuführen. Sie werden durch rassistische Ausländergesetzgebung gezwungen, Arbeit in oftmals menschenunwürdigen Verhältnissen anzunehmen.
Wenn der „Schein“ hier nicht anerkannt ist, kann mensch ihn gleich wegwerfen. Auch so findet Ausgrenzung statt. Die StudentInnen, die es an die Universität geschafft haben, bekommen die Ausgrenzung durch Leistungsnachweise auf andere Art zu spüren. Ausgegrenzt werden nicht sie, sondern die Bildungsinhalte, die marktwirtschaftlich nicht verwertbar sind. An der Universität unterdrückt der Leistungszwang den eigenständigen Zugang und die Freunde an der Wissenschaft. Erkenntnisinteresse = Scheinerwerb!?
Unser Lernen wird bewertet nach Kriterien von „Nützlichkeit“ und „Effizienz“. Wir finden uns wieder in einem Konkurrenzkampf um einen Platz an der Sonne. Da diese Plätze bekanntermaßen rar sind, wird jedem schnell klar, das nur die „Besten“ einen ergattern werden. Die Universität hat im Kapitalismus das Ziel, eine Elite zu produzieren. Doch nur wenige Studierende hinterfragen die Funktion dieser Elite und vor allem ihre eigene Rolle darin.
Das steht nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Angst, dem survival of the fittest nicht standzuhalten. Es stellt sich die Frage, wem eine Elite überhaupt von Nutzen ist. Nutzt sie sich nicht hauptsächlich selbst? Ist es nicht so, dass, wenn wenige viel haben, viele wenig haben? Diese soziale Ungleichheit verschärft sich momentan in Berlin, in Deutschland, in Europa und weltweit. Gleichzeitig äußert sich deswegen immer mehr Protest von vielen Seiten, vor allem gegen Sozial- und Bildungsabbau. Auch der Protest der Studierenden reiht sich dort ein. Einige Studierende berufen sich in ihrem Protest auf ihre Rolle als Elite, die ihren Anspruch auf Bildung geltend machen will. Das begründen sie damit, dass sie in der Zukunft für den „Standort Deutschland“ als entscheidender Faktor eintreten und konkurrenzfähig sein wollen. Genau diese Logik jedoch verursacht gleichzeitig massiven Sozial- und Bildungsabbau.
Diese Studierenden kämpfen zum Nachteil vieler anderer Menschen und verarschen sich im Grunde genommen selbst. Um aus dieser Logik auszubrechen, müssen Reflexionen über das Bildungssystem stattfinden und Alternativen zur konventionellen Bildung entworfen werden. Die Forderungen der Studierenden „gegen Studiengebühren, gegen den Numerus clausus und gegen die Kürzungen“ kritisieren nur oberflächlich die Verwertbarkeits- und Ausgrenzungslogik von Bildung im Kapitalismus. Sie klammern damit aus, was der Hintergrund für die kritisierten Maßnahmen ist. Bildung muss neu gedacht werden, denn innerhalb der bestehenden Bildung können wir uns nicht verwirklichen.