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Archiv-Artikel

Irak liegt im Trend

Bei Prozessen gegen Kriegsverbrecher kommen internationale Tribunale weltweit aus der Mode

Vor zehn Jahren ging der Trend eindeutig in Richtung Internationalisierung: Verbrechen gegen die Menschlichkeit sollen möglichst international behandelt werden. In diesem Geist entstanden die UN-Tribunale für Exjugoslawien und Ruanda. Die UNO hat sie eingerichtet und finanziert und ernennt auch Richter und Ankläger. Heute geht der Trend zur Renationalisierung. Das vorige Woche im Irak beschlossene Sondertribunal für Kriegsverbrechen im Irak, dessen Besetzung und Arbeit dem Regierungsrat unterstehen soll, ist daher nicht überraschend.

Schon 2000/01, als in der UNO die Einrichtung eines UN-Tribunals für Sierra Leone diskutiert wurde, kam ein Konstrukt heraus, das weder als internationales noch als nationales Gericht zu bezeichnen ist. Das „Sondergericht für Sierra Leone“ ist formal kein Organ der staatlichen Judikative, arbeitet aber unter sierra-leonischem Recht und wendet zugleich die Verfahrensregeln des Ruanda-Tribunals an. Es hat eine Mehrheit ausländischer Richter, einen US-Chefankläger und einen UN-Haushalt, aber es sitzt in Sierra Leone und hat auch sierra-leonische Richter.

Noch einen Schritt weiter ging die UNO dieses Jahr bei ihrer Vereinbarung mit der Regierung in Phnom Penh über die Einrichtung eines Kambodscha-Tribunals: Es soll eine Mehrheit kambodschanischer Richter haben – das erste Mal, dass ein formal internationales Tribunal sich in der Hauptsache auf die Justiz des beklagten Landes stützt. Seine Gründung steht jedoch in den Sternen.

Die irakische Variante verzichtet nun ganz auf eine UN-Komponente. Sie unterscheidet sich nicht wesentlich von den zahlreichen Ländern, wo Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgearbeitet werden müssen und wo es das Hauptanliegen des Auslands ist, nationale Gerichtsbarkeiten zu stärken. Forderungen aus der Demokratischen Republik Kongo oder aus Liberia nach einem UN-Tribunal stoßen daher auf taube Ohren.

In Kongo und Liberia sind nicht einmal nationale Prozesse gegen Kriegsverbrecher in Aussicht. Für solche Fälle gibt es zwar neuerdings den Internationalen Strafgerichtshof. Der ist allerdings nur für Ereignisse seit dem 1. Juli 2002 zuständig. So ist die Aufarbeitung älterer Verbrechen in Ländern, wo die Zahl der Opfer von Krieg und Unterdrückung sehr hoch ist und die Tatumstände sehr kompliziert sind, gefährdet. Im Irak könnte das aufgrund der weltweiten Aufmerksamkeit noch anders laufen. DOMINIC JOHNSON