: Traditionell keine Kleider
NEUGUINEA Eine Wanderung mit Führer, Dolmetscher, Trägern und Koch durch das Hochland der indonesischen Provinz Papua zu einer erst vor wenigen Jahrzehnten von Weißen entdeckten Kultur
■ Adventure Indonesia ist ein indonesischer Veranstalter mit Büros in Jakarta, auf Bali und in Wamena (www.adventureindonesia.com). Wesentlich billiger ist es, sich in Wamena selbst einen Führer zu suchen. Als Vermittler dienen die Hotels und der japanische Betreiber des einzigen Internetcafés. Da auch Gauner im Geschäft sind, sollte man sich bei verschiedenen Quellen über den betreffenden Führer erkundigen.
■ Visum: Bei Einreise in Indonesien für 25 US-Dollar im Flughafen erhältlich. Für das Baliem-Tal ist zusätzlich ein Passierschein („Surat Jalan“) nötig, der vom Reiseveranstalter organisiert wird oder bei der Polizei in der Provinzhauptstadt Jayapura beantragen werden kann. Passfotos mitbringen.
■ Anreise: Flug von Jakarta oder Bali nach Sentani, von dort Weiterflug nach Wamena. Es gibt keine regelmäßige Busverbindung auf der erst vor wenigen Jahren fertig gestellten Straße.
■ Ausrüstung: Schlafsack und Campingmatte zum Übernachten in den Dörfern, Kopfbedeckung und langärmlige Hemden gegen die Sonne, Regenzeug und ein warmer Pulli, feste Schuhe. Außerdem reichlich kleine Geldscheine fürs Fotografieren. NIL
VON NICOLA LIEBERT
Dem ersten Nackten begegnen wir schon in der Ankunftshalle des Flughafens von Wamena. Nackt ist nicht ganz richtig, schließlich trug der Mann vom Volk der Dani seinen traditionellen, aus einer länglichen Kalebasse hergestellten und mit Schnüren um Taille und Scrotum befestigten Penisköcher.
Wamena im zentralen Hochland der indonesischen Provinz Papua, die früher Irian Jaya hieß, ist eine Gründung von Missionaren. Von hier aus erreicht man die Dörfer der Dani nur zu Fuß. Eine richtige Karawane zieht da los: zwei Besucher, der Führer und Dolmetscher Melchior, drei Träger und ein Koch. Dafür sollten wir noch sehr dankbar sein – auch weil es selbst ohne Gepäck mitunter schwierig ist, auf den teilweise steilen und glitschigen Wegen nicht auszurutschen. Dankbar aber auch, dass wir nicht nur auf die Küche der Dani angewiesen waren: in der Glut gegarte ungesalzene Süßkartoffeln, eine gekochte Frucht, die nach Moder schmeckt, und eine schleimige Substanz, die aus dem Mark der Sagopalme gewonnen wird. Süßkartoffeln prägen nicht nur die Küche, sondern auch die Landschaft. An den steilen Hängen kleben winzige Terrassen, auf denen die Knollen angebaut werden.
Überall begegnen einem Frauen mit Netzen, die von der Stirn auf den Rücken hängen und in denen sie Süßkartoffeln und ihre Babys tragen. Als Frau begrüßt man alle Leute mit einem lang gezogenen „La-uuk“. Männer haben es schwerer: Sie müssen Männer und Frauen unterschiedlich anreden. Darauf folgt ein sehr langer Händedruck, der überraschend weich ist dafür, dass die Hände unglaublich hart und schwielig sind. Am späten Nachmittag klettern wir noch über eine letzte kleine Mauer und kommen in einem Dorf an: einer Ansammlung strohgedeckter Hütten, in denen offenbar zwei Großfamilien leben. Ein Mann kann sich hier mehrere Frauen nehmen – wie viele, hängt von der Anzahl der Schweine ab, die er für sie aufbringen kann.
Das Begrüßungskommando steht schon bereit, ein paar Männer mit Penisköcher und eine Frau mit Bastrock. Überall, wo Touristen auftauchen, stellen sich einem vor allem ältere Männer mit „ihren traditionellen keinen Kleidern“, wie unser Führer das ausdrückte, in den Weg. Nun heißt es fotografieren – und zahlen. Für sie ist es eine der wenigen Einkommensquellen in einer Gesellschaft, die inzwischen von der monetären Wirtschaft eingeholt wurde. Als wir gerade mit dem Knipsen fertig sind, kommt eine andere Frau dazu, wie die meisten Dani in ganz normale, wenn auch ärmliche westliche Kleider gehüllt. Sie zieht noch im Laufen ihr T-Shirt nach oben über ihre Brust und lacht, und auch ohne Dani-Kenntnisse ist unschwer zu erkennen, dass sie sich über das Nackten-Geschäft mit den Touristen lustig macht.
Die Männer schlafen gemeinsam in den runden Hütten, in den eckigen die Frauen. Da Textilien für die Dani eine relativ neue Sache sind und da die Temperatur nachts deutlich unter 10 Grad fällt, drängt man sich beim Schlafen dicht auf einem Holzgitter zusammen, unter dem zuvor ein kleines Feuer entzündet wurde. Für die Touristen gibt es glücklicherweise eine eigene Hütte, in der wir unsere Schlafsäcke ausrollen können.
Die Dani sind mir schon einmal begegnet – in einem Dokumentarfilm. „Dead Birds“ von Robert Gardner entstand Anfang der 1960er-Jahre, nur etwa 25 Jahre nachdem das Baliem-Tal von Weißen entdeckt worden war. Der Film ist ein Klassiker, aber nicht unumstritten, weil einige Szenen offenbar gestellt waren und die Dani nie selbst zu Wort kommen. Trotzdem hat er mich beeindruckt.
Die Männer schienen mit nicht viel anderem als einem ritualisierten, aber dennoch immer wieder tödlichen Dauerkrieg mit den Nachbardörfern beschäftigt – mit Wachestehen, Anschleichen und Kämpfen, während die Frauen für die Ernährung sorgten. Einmal kam auch ein kleiner Junge ums Leben, Frauen ließen sich zum Zeichen der Trauer Fingerglieder abhacken. Ältere Frauen mit verstümmelten Händen trifft man immer noch. Heute finden die Kriege meist nur noch in Form von „mock wars“ statt, gespielten Kriegen für die Touristen.
Das ganze Dorf wartet schon auf unsere Ankunft, Männer und Frauen in traditionellem Outfit, die Frauen teilweise mit weißen Punkten bemalt, die Männer mit Federkronen auf dem Kopf und großen Eberzähnen in der Nase. Vor dem Dorf klettert ein Mann auf einen Wachturm aus Bambus, die anderen gehen unterdessen im hohen Gras in Stellung. Es folgen ein paar Vorstöße mit Speeren und Pfeilen in Richtung der Gegengruppe. Anschließend schütteln sich alle die Hände und sagen in einem fort „wah wah wah“, was Danke heißt. Noch ist es eine exklusive Darbietung nur für uns, sie ist aber auf dem besten Weg, eine Kommerzveranstaltung zu werden wie die Tänze der Massai-Krieger in Kenia, zu denen die Touristen scharenweise angekarrt werden.
Anschließend wird ein Schwein geschlachtet – oder vielmehr mit einem Pfeil erlegt – und im Erdofen gegart. Dafür werden stundenlang erhitzte Steine in eine mit frischem Gras ausgelegte Kuhle gelegt, es folgen Blattgemüse, die unvermeidlichen Süßkartoffeln und die Fleischteile und schließlich wieder Gras, bis sich ein kleiner Turm gebildet hat, der mit Bast verschnürt wird. Nach zwei Stunden ist alles fertig. Die Männer sitzen in einer Gruppe auf dem Dorfplatz und bekommen zuerst serviert. Anders als früher dürfen sich dann auch die Frauen vom Fleisch nehmen.
Die Pfeile kommen immer noch gelegentlich zum kriegerischen Einsatz: gegen indonesische Soldaten. Melchior berichtet von einem Angriff von Dörflern auf die Stadt Wamena vor mehreren Jahren anlässlich einer Auseinandersetzung um das Hissen der verbotenen Flagge von Papua. Dabei wurden angeblich zahlreiche Javaner getötet. Wie viele Papua die Soldaten töteten, sagt er nicht.
Als ich mich später in einem Restaurant in Wamena noch einmal nach der Episode erkundige, steht ihm buchstäblich Angst ins Gesicht geschrieben. Über so etwas spreche man hier nicht, flüstert er. Verstohlen zeigt er später das Display seines Handys: ein Christus mit der papuanischen Flagge – blau-weiße Streifen und ein weißer Stern auf rotem Grund.
Abends treffen wir uns im Hotel mit einer indonesischen Ethnologin. Nach den Vorfällen befragt, verstummt die eben noch begeistert von den Traditionen der Dani erzählende Frau. „Das gehört nicht zu meinem Forschungsgebiet“, presst sie schließlich hervor. „Es gibt Orte, wo man über bestimmte Dinge nicht sprechen sollte.“ Dabei macht sie mehrmals eine Geste, dass ihr Mund verschlossen ist.
Kurze Zeit später steht eine kleine Meldung aus Papua in der Jakarta Post: Als indonesische Militärs an einem Haus vorbeikamen, in dem sich ein paar junge Männer versammelt hatten, vermuteten sie sogleich separatistische Umtriebe. Sie forderten die Männer auf herauszukommen, feuerten Warnschüsse ab, und hinterher war einer der Jugendlichen tot. Freunde macht sich die Regierung im fernen Jakarta hier nicht.