: „Trocken und hart“
ROCKERINNEN Die US-amerikanischen Musikerinnen Elisa Ambrogio und Jennifer Herrema lieben den harten Sound live von der Bühne
■ Elisa Ambrogio: US-Amerikanerin, 30 Jahre, Gitarristin und Sängerin der Magik Markers. Das Duo spielt primitive Rockmusik, bis auf die Knochen reduziert, böse verzerrt. Zu einem bollernden Groove spuckt die Sängerin Texte aus wie andere Leute Kautabak. Ihr Album „Balf Quarry“ erscheint am 5. Mai bei Drag City/Rough Trade.
■ Jennifer Herrema: US-Amerikanerin, 37 Jahre, seit 20 Jahren Sängerin in Rockbands, unter anderem bei den Royal Trux. Seit 2004 führt sie ihre eigene Band, RTX. Ihr Livealbum „JJ Got Live RaTX“ erschien im Dezember 2008 (Drag City). Herrema ist auch als Model für Calvin Klein und Hysteric Glamour tätig. jw
INTERVIEW DAVID GRUBBS
taz: Sie sind beide an der Ostküste aufgewachsen, Jennifer Herrema bei Washington, D. C., Elisa Ambrogio in Connecticut. Nun wohnen Sie beide an der Westküste. Wie sieht’s aus, werden Sie dort bleiben?
Elisa Ambrogio: Ich hatte mich in einen Kalifornier verliebt und hab mich schnell an die kalifornische Lebensweise gewöhnt. Anfangs war ich irritiert, wie freundlich und seltsam die Menschen sind. Ein Kalifornier lässt im Gemüseladen neben dir Tomaten fallen und sagt: „Wow, Mensch, geil, ich habe gerade die Tomaten fallen lassen!“ Mir wurde der ständige Mitteilungsdrang aber irgendwann zu viel. Also bin ich hoch nach Seattle.
Jennifer Herrema: Ging mir ähnlich. Ich kam 1990 an die Westküste und zog zuerst nach San Francisco. Ich mochte die Stadt sofort, sie hat so einen Gothic Vibe. Aber ich wusste auch, dass ich es nicht ewig aushalte. Das ständige gute Wetter in Kalifornien ist surreal, die Palmen grinsen den ganzen Tag! Die Jahreszeiten fehlten mir irgendwann. Dann bin ich zurück nach Virginia in die Berge. Vor sechs Jahren hat’s mich dann doch wieder erwischt: Seither lebe ich in Los Angeles, und da bleibe ich auch. Egal, was passiert.
Herrscht da denn ein angenehmes Gesellschaftsklima für Ihren Rock-’n’-Roll-Lebensstil?
Herrema: Ich lebe direkt am Strand, 30 Kilometer südlich von Hollywood. Um mich herum sind nur Surfer und Touristen. Man fühlt sich wie in einer riesigen Seifenblase. Elisa, wie sieht’s bei dir in Seattle aus? Da oben liegen doch viele der alten Indianergräber. Ist da ein besonders mystischer Vibe?
Ambrogio: Ein mächtig seltsamer Vibe! Es regnet viel, ist düster und gespenstisch. Meine Freunde sagen: Das Wetter in Seattle treibt dich geradewegs in den Selbstmord. Aber dann kommt doch wieder der Frühling. Ich lebe seit einem Jahr hier, könnte mir aber auch gut vorstellen, nach Mexiko auszuwandern.
Die Bands, in denen Sie spielen, genießen einen exzellenten Ruf als Livebands. Magik Markers wie auch RTX haben bereits Livealben veröffentlicht. Wie groß ist die Kluft zwischen Studio- und Livesituation?
Herrema: Das sind zwei völlig unterschiedliche künstlerische Welten. Es gibt meine Liveband, und es gibt das Songwriting und die Studioalben. Und es gibt Fans beider Lager.
Ambrogio: Die Magik Markers haben als Instant-Rock-’n’-Roll-Band angefangen. Unsere Songs haben wir live auf der Bühne erfunden. Anfangs war das derber, konfrontativer Krach, bei dem es darum ging, alles sofort nach draußen zu pusten. Aber diese Methode weiter durchzuziehen hätte irgendwann beim Easy Listening geendet. Unsere Liveshow hat sich dahin gehend verändert, dass wir gelernt haben, Songs zu komponieren. Das passierte automatisch. Wir waren ein volles Jahr auf Tour und haben sozusagen aus Versehen die Songs irgendwann anständig gespielt. Aber nicht soft, sondern trocken und hart. Trotzdem kamen die alten Fans und meinten: Hey, warst du letzte Nacht zu müde, oder warum hast du niemand von der Bühne runtergehauen? Ich war noch nie zu müde, um jemand von der Bühne zu hauen!
Worum geht’s beim nächsten Song, den Sie schreiben?
Herrema: Ich bin seit einem Jahr totaler Fernsehjunkie, aber jetzt kriech ich kulturell langsam auf dem Zahnfleisch. Ich bin bildermäßig saturiert. Ich muss das Kabel endlich abschneiden. Mein nächster Song wird definitiv vom Fernsehen handeln!
Ambrogio: Ich weiß noch nicht, aber jetzt gerade bekomme ich auch Lust, übers Fernsehen zu schreiben.
Worüber ging es denn in Ihrem letzten Song?
Ambrogio: Ich hab mir die beiden Countrysänger Kris Kristofferson und Merle Haggard angesehen und war von ihren Darbietungen absolut überzeugt. Die beiden Gentlemen haben mich zu einer Songerzählung inspiriert. Also habe ich einen Song über David komponiert, einen Jungen, den ich seit meiner Kindheit kenne und der Bulle wurde.
Herrema: Mein letzter Song handelt davon, wie man Hasch raucht, ohne wie ein Penner auszusehen.
Wie das: Kifft man besser privat und ohne Bart?
Herrema: Nein, nein, nein. Ein Freund von mir hat mir eine Predigt gehalten, dass man total abgefuckt sein kann, aber trotzdem immer elegant aussehen muss. Der hat gar nicht aufgehört, voll bescheuert der Typ. Da musste ich einfach einen Song drüber schreiben.
Ambrogio: Ist der Song ein Kracher?
Herrema: Kannst du von ausgehen, dass da Aggro drinsteckt.
Jennifer, Sie werden demnächst auf einem Southern-Rock-Symposium an der Universität Princeton einen Vortrag halten. Zu welchem Thema?
Herrema: Kandia Crazy Horse ist Professorin in Princeton, ihr habe ich die Einladung zu verdanken. Da wird auch der New-Orleans-Soulmusiker Allan Toussaint sprechen. Ich fange bei den Allman Brothers an und taste mich vorsichtig weiter in der Genese des Southern Rock vor. Es soll eine offene Podiumsdiskussion werden. Ich bin etwas nervös: Ist so etwas nicht total überflüssig?
Ambrogio: Mir ist jedes Symposium recht, auf dem du sprichst!
Haben Sie eigentlich Obama gewählt, letzten November?
Herrema: Ich hab gar nicht gewählt. Ich besitze Land in Kalifornien, aber bin weiterhin in Virginia gemeldet. Der Großraum Los Angeles wählt traditionell rechts, da wäre meine Stimme nicht ins Gewicht gefallen.
Ambrogio: Ich war im Ausland und habe mich nicht rechtzeitig um Briefwahlunterlagen bemüht.
Was halten Sie von „Proposition 8“, über die auch abzustimmen war? Sie macht es gleichgeschlechtlichen Paaren unmöglich, eine Ehe einzugehen.
Herrema: Die sollen gerne heiraten. Ich kann gar keine kalifornische Bürgerin werden. Ich hab nämlich noch ein dickes Justizproblem in Virginia, deshalb bleibe ich schön außerhalb des Radarschirms. Heute morgen bin ich beim Fernsehen ausgeflippt, denn es wurde gemeldet, dass Georges Marciano, der Besitzer der Jeansmarke Guess, nun gegen Arnold Schwarzenegger bei den nächsten Gouverneurswahlen antritt. Guess-Jeans gegen Mr. Universe, nicht übel!
Anderes Thema: Was sagen Sie als Livemusikerinnen zu den Debatten über das Internet und die neuen Medien?
JENNIFER HERREMA
Ambrogio: Ich habe kürzlich einen Artikel über einen Autor gelesen, der sagt, er könne sich nicht mehr aufs Bücherlesen konzentrieren, da ihm dabei Hyperlinks fehlen. Ihn stört, dass man die Seite umblättern muss und er dabei nicht klicken kann. Wohin soll das führen? Zeitungen wie die Washington Post existieren nur noch, weil sie eine Onlinepartnervermittlung betreiben.
Herrema: Vielleicht wird sich das so entwickeln wie bei uns Musikern mit dem Vinyl. Irgendwann kommt der Real Deal zurück. Nach einem Jahr durchgehenden TV- und Internetkonsums kann ich nur sagen, es macht dich auf die Dauer stumpf. Ich freu mich schon auf echte Zeitungspapierfans. Ich fühle mich, als hätte ich 365 Tage hintereinander im Boxring Dresche bezogen. Ich brauch langsam mal wieder was Greifbares.
Haben Sie noch etwas zu Ihren neuen Alben, was Sie den taz-Leserinnen unbedingt sagen möchten?
Herrema: Rocker, kauft meine Platten!
Ambrogio: Stimmt genau!
Was würden Sie tun, wenn Sie keine Musik machen würden?
Herrema: Kunst und Styling. Letztendlich fußt alles auf meiner Musik. Mich interessiert vieles, aber ich glaube nicht, dass ich etwas anderes machen möchte als ROCK!
Ambrogio: Ich bin vor allem an Spirografen interessiert. Hätte ich die Chance zu einer Karriere als Spirografikerin, würde ich nichts malen außer Ellipsen und Atompilzen.
Das ist aber ein beliebter Zeitvertreib, da hätten Sie Konkurrenz.
Ambrogio: Wenn ich professionell Bücher lesen könnte und nebenher als Spirografikerin arbeiten könnte, dann würde ich mich optimal fühlen.
■ David Grubbs ist Musiker und Assistant Professor am Brooklyn College der City University in New York. Übersetzung: jw