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Archiv-Artikel

Stoffkröten im Liebesrausch

MARKTPLÄTZE Der Onlineshop für Handgearbeitetes, „dawanda.de“, wächst rasant. Je größer er aber wird, desto kommerzieller wird er

Marktplätze für Unikate

■ Dawanda: Das ist ein afrikanischer Frauenname und heißt „die Einzigartige“. Seit Ende 2006 ist der Internetmarktplatz gleichen Namens online, mittlerweile mit Ablegern auf Englisch und Französisch. Verkäufer sind meist Frauen zwischen 25 und 45 Jahren. Kunden sind ebenfalls vor allem weiblich und jung. Täglich werden mindestens 3.000 neue Produkte online gestellt.

■ Die Konkurrenten: www.vondir.de hat 2.500 Mitglieder und 28.000 Produkte. Das Angebot hat sich seit Februar dieses Jahres verdoppelt. Verkäufer müssen nichts zahlen, können aber für 2.50 Euro im Monat Premiummitglieder werden. Bei www.kunstvonuns.de gibt es 5.000 Produkte. Die Seite www.livemaster.de hat 6.500 Unikate. International führend ist www.etsy.com mit zwei Millionen Mitgliedern und einem Jahresumsatz von 90 Millionen Dollar.

VON PAUL WRUSCH

Julia Küpper mag den glänzenden, festen Stoff von Lkw-Planen schon lange. Außerdem näht die Studentin gern. Im Sommer 2008 hat sie zum ersten Mal ihre Vorliebe für die Planen und ihr Talent zusammengebracht und eine Tasche gemacht. In der kann sie ihren Tabak samt Filter und Zigarettenpapier unterbringen. Für Raucherinnen von Handgedrehten wie sie ist die Tabaktasche ein Kleinod. Alles ist an seinem Platz. Drei Stunden hat sie für den Prototypen gebraucht. Mittlerweile hat sie die Technik optimiert. Denn innerhalb kurzer Zeit wurde sie zur Serienproduzentin von Tabaktaschen. Ihre Freunde wollten welche, danach die Freunde der Freunde und später auch Fremde.

Vor einem halben Jahr hat sie angefangen, Taschen für 20 Euro zu verkaufen, zunächst nur in Leipziger Szeneläden. Dann bot Küpper eine beim Onlinemarktplatz Dawanda an. Nach zwei Tagen war sie weg. Bis heute hat sie über 120 Tabaktaschen verkauft, ihre restlichen Nebenjobs hat sie aufgegeben. Unversehens ist sie zur Designerin „tanzdrauf“ geworden, die sich damit teilweise das Studium finanziert.

So wie Küpper geht es auch anderen. 35.000 VerkäuferInnen hat Dawanda und achtmal so viele angemeldete NutzerInnen. Damit ist Dawanda der größte Onlinemarktplatz für Selbstgemachtes in Deutschland.

Das Prinzip der Plattform ist einfach: Verkäufer und Verkäuferinnen stellen ihre Unikate online in der entsprechenden Kategorie – sei es Kleidung, Schmuck, Einrichtungsgegenstände –, beschreiben ihre Ware, fügen Bilder dazu und legen einen Preis fest. „Es gibt eigentlich alles, was selbst hergestellt werden kann bei uns. Sogar Honig oder Senf“, sagt Dawanda-Gründerin Claudia Helming.

Dawanda erhält 5 Prozent vom Verkaufspreis. Seit Januar müssen zusätzlich Einstellgebühren für jedes Produkt bezahlt werden. Bis zu 30 Cent. So finanziert sich das Unternehmen.

Talentfreie Gründerin

Vor allem Frauen gehörten zur Dawanda-Community. Der Männeranteil liegt bei 10 Prozent. Helming erklärt sich das mit einem anderen Einkaufsverhalten von Frauen. Die hätten mehr Lust zu stöbern. Bei 400.000 Produkten braucht man diese Lust auch. Zum Beispiel „Schlüsselanhänger“ – dafür gibt’s 6.641 Treffer. Stunden dauert es, bis alle angeklickt sind.

Claudia Helming hat Dawanda Ende 2006 mit ihrem ehemaligen Kollegen Michael Pütz gegründet. Sie ist Romanistin und Tourismusexpertin, er Informatiker. Beide sind Internetpioniere. Zuvor waren sie mehrere Jahre bei Onlinefirmen angestellt, wollten dann aber ihr eigenes Start-up-Unternehmen gründen. Egal was. Mit Kunsthandwerk und Handarbeit hatten sie bis dahin nichts zu tun. „Wir sind komplett talentfrei, was Selbstgemachtes anbelangt“, sagt Helming. Die Idee für Dawanda ist geklaut. Vorbild war das amerikanische „etsy.com“.

Finanzkreative statt -krise

Dawanda wuchs schnell. Heute gibt es zwanzig Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Der Firma geht es gut. Umsatzzahlen lassen sich die Chefs nicht entlocken. „Nur so viel: Wir sind profitabel“, sagt Helming. Vor einer Woche ist Dawanda in ein neues Büro in Berlin-Mitte gezogen. Es ist doppelt so groß wie das alte.

Dawanda setzt stark auf den Community-Charakter des Web 2.0. Im sonst meist anonymen Internet soll kein unpersönlicher Handel betrieben werden. Die Verkäufer gestalten ihre Seiten mit Bildern und Biografie. In Foren diskutieren die Mitglieder über Verkaufsstrategien, bewerten die Produkte der anderen und geben Tipps in Rechtsfragen.

Helming und Pütz wollen, dass die Mitglieder sich wohlfühlen, und rufen mitunter zu Aktionen auf, die das Wir-Gefühl stärken. „Finanzkreative statt Finanzkrise“ hieß die letzte. „Die Mitglieder haben sich Produkte ausgedacht, die die Finanzkrise positiv aufgreifen“, sagt Helming. 400 Einsendungen kamen. „Fuck the crisis“ steht auf einem Lederbeutel. Ein Fünfeuroschein ist in Seife eingearbeitet. „Geldwäsche auf die saubere Art“, sagt die Einsenderin. Eine andere hat zwei Stoffkröten im Liebesrausch vereint. Ihr Kommentar: „Neue Kröten braucht das Land“. Als Gewinn gab es Gutscheine für Werbeplätze auf der Startseite, die kosten sonst.

Je größer Dawanda wird, desto mehr Kritik wird laut. Im Forum bemängeln Mitglieder, dass die Grundsätze, die sich Dawanda anfangs selbst gegeben hatte, aufweichen. „Es wird immer mehr Massenware angeboten. Das zerstört den Dawanda-Gedanken“, sagt Mandy Christoph, die als „kleidzeit“ Selbstgeschneidertes verkauft. Auch „Stine“, die eigentlich Christine Kebel heißt und neben ihrem Job als Dokumentarin Taschen näht, ist frustriert. Dawanda reagiere nur selten, wenn verdächtige Anbieter gemeldet werden. „Klar, die verdienen ja gut an denen.“ Kritik im Forum werde zudem immer wieder ignoriert oder gar gelöscht.

Einige Mitglieder, die von Anfang an dabei sind, ziehen sich enttäuscht zurück und laufen zu anderen Onlinemarktplätzen über. Einer davon ist „vondir.de“. Diese Plattform wurde erst im Januar von Günther Haslbeck gestartet. „Meine Mutter wollte die Einstellgebühren bei Dawanda nicht bezahlen“, sagt er. Noch ist seine Seite zu klein, um davon leben zu können. „Trotzdem: Massenprodukte und Importiertes wird es bei mir nicht geben.“ Topverkäufer, die bei Dawanda im Monat bis zu 20.000 Euro eingenommen haben, finden sich hier nicht. Eher die Hobbydesignerin, die nach der Arbeit im Büro ein paar Ohrringe bastelt. „Ich will Dawanda keine Konkurrenz machen. Wenn ich davon irgendwann meine Miete bezahlen kann, freue ich mich“, erklärt Haslbeck.

Julia Küpper will vorerst bei Dawanda bleiben. „In meinem Bereich gibt es noch wenig kommerzielle Konkurrenz“, sagt sie. Zurzeit entwirft sie neue Taschen und Geldbeutel, auch große Umhängetaschen will sie bald anbieten. In Leipzig hat Julia noch mindestens zwei Semester vor sich. Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert sie. Ihr Traum danach: „Gerne ein, zwei Kinder kriegen und dann, wenn es in der Medienbranche nichts wird, einen eigenen kleinen Laden aufmachen.“ Das allerdings in der realen Welt.